Caspar de Gelmini (geb. 1980 in Berlin)

 

Caspar de Gelmini ist einer der vier Komponisten des Livehörspiel-Projekts LEIPZIGNOIR 1914. Die Geschichte hinterfragend und mit einer Erläuterung seiner künstlerischen Ansätze vermittelt er seinen Eindruck vom Stück:

 

"Nach den letzten zwei Weltkriegen hat sich das Gesicht vieler deutscher Städte grundlegend verändert. Städte wie Berlin und Leipzig sind zu modernen Metropolen und Repräsentanten zeitgenössischer Architektur geworden. Viele Touristen kommen nach Deutschland um die neuen Bauwerke zu bestaunen. Manchmal frage ich mich, wie es wäre eine Zeitreise zu wagen in das Berlin oder Leipzig vor dem ersten Weltkrieg. Wie muss es den Menschen hinsichtlich der Vorahnung der Kriege gegangen sein? Wie hat man die Zeit empfunden?

 

Interessanterweise frage ich mich diese Fragen in Paris. Ab dem Herbst 2014 verbringe ich ein Jahr als Austauschstudent am IRCAM ((Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (Forschungsinstitut für Akustik/Musik) im Centre Pompidou in Paris)) und am Konservatorium von Paris. Auf dem Weg nach Paris begegneten mir die Plakate des Films Diplomatie von Volker Schlöndorff. Paris ist nach zwei Weltkriegen erhalten geblieben, Leipzigs Bild wurde fundamental verändert. Nun verbringe ich meine Zeit in Paris und schaue zurück auf die Bilder von Leipzig.

 

Viele Dinge verbindet man mit Leipzig: So hat Leipzig den größten Kopfbahnhof Europas, eine Art Erinnerung an die Zeit der Messestadt Leipzig, Grieg und Schumann haben hier einst an der Musikhochschule studiert...

 

Meine Herangehensweise an die Komposition war zunächst folgende: Ich habe mir den Hörspieltext von Jan Decker vorgenommen und geplant ein elektronisches Stück zu realisieren, welches von der Grundstimmung des Textes inspiriert ist. Dieses elektronische Stück werde ich dann mit der Zeit instrumentieren, d.h. ich analysiere die elektronische Stimme und ergänze sie durch akustische Instrumente. So bekomme ich eine Art orchestralen Charakter mit einem kleinen Ensemble. Ich profitiere hier enorm von den Erfahrungen, die ich parallel dazu am Computermusikkurs des IRCAM sammele. In diesem Sinne ist das Stück quasi am IRCAM entstanden.

 

Seit geraumer Zeit beschäftige ich mich mit dem Thema Lautpoesie. Ich plane, die Sprecher nach bestimmten Regeln experimentell mit dem Text verfahren zu lassen. So wird der Text nicht nur Übermittler einer Handlung, sondern gehört gleichzeitig zur klanglichen Ebene.

 

Es gibt in meiner Musik keine konzeptuelle Ebene. Ich habe auf jegliche Verweise zu historischer Musik verzichtet, weil das nicht meiner Arbeitsweise entspricht und weil mich eher die Aura und die Atmosphäre des Textes interessieren. Ich will vielmehr Klangbilder schaffen, weil diese meiner Meinung nach am Ende eine stärkere Wirkung beim Zuhörer hinterlassen als ein theatralisches Konzept. In diesem Sinne mache ich kein Musiktheater, sondern versuche, den Text zu Musik werden zu lassen. Ich mache eher Musik mit Text, als Musiktheater.

 

Das ist prinzipiell bei mir nichts neues, ich habe diese Arbeitsweise schon bei Farben für Orchester und Japanische Miniaturen angewendet. Ich sehe den Sprecher als gleichwertigen Musiker. Diese Erfahrung habe ich gesammelt, als ich mit den Maulwerkern, dem Ensemble von Dieter Schnebel, gearbeitet habe: Wenn viele Stimmen experimentell mit Sprache umgehen, wird der Text nicht mehr zur Sprache selbst, sondern in der Gesamtheit zu Musik."

 

Caspar de Gelmini, Paris, Oktober 2014

 

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