Ansichtennetz entstand im Auftrag des Ensemble Sortisatio mit der Besetzung Englisch Horn, Fagott, Gitarre und Viola. Grundlage des Werkes sind fünf Bilder von Sylvia Pfefferkorn (”die mühle”, “stillleben”, “zwischenfrage”, “der gipfel”, “ohne titel”), ein Foto von Joseph Beuys von Ute Klophaus (”lauschender”) sowie ein Film Von Fred Kelemen (”frost”). Lediglich “sehnen+sucht”, das mit fünf Takten kürzeste Werk, hat keine außermusikalische Grundlage.

Grundlage?

Wie im Titel schon angedeutet, ging es bei der Umsetzung dieses “Kompositionsprojektes” weniger um Vertonung im Sinne einer Übersetzung oder gar um eine programmatische Ausdeutung des Inhalts; vielmehr sollte sowohl der visuellen Vorlage als auch der Musik ihr Eigenleben bzw. ihre Sicht im Netz der Ansichten auf die ihr eigene Weise erhalten bleiben. Lediglich die A t m o s p h ä r e der Werke und ihrer “Grundlage” verbindet und spinnt das Netz der Ansichten.

Nimmt man das extremste Beispiel, “frost”, wo ein 4 1?2 Stunden(!) langer Film, nahezu ohne Worte, in fast unerträglich-lebensnaher Langsamkeit die Geschichte zweier Menschen erzählt und dies in beeindruckenden, existentiell-poetischen Bildern; so ist klar, dass ein nicht einmal fünf Minuten langes Musikstück kaum dieser Filmgrundlage im Sinne einer Vertonung entsprechen konnte und überdies auch nicht sollte.

Eine weitere Besonderheit der Komposition(en) die auf das “Netz” in “Ansichtennetz” Bezug nimmt, soll nicht unerwähnt bleiben:

Zwei der Bilder von Sylvia Pfefferkorn (”die mühle”, “der gipfel”), entstanden anläßlich einer Komposition von mir (“Apparitionen IV”), sind also schon eine Interpretation.

Gerade dies war aber die Herausforderung: Nämlich ein Bild als dass anzuschauen, was es in seinem ganz individuellen Wesen ist, ohne die Fülle von Interpretationsmöglichkeiten, die sich aus der Erfahrung mit dem Material und der Nähe zum Stoff ergaben, voll zu berücksichtigen. Dass die Interpretation der Interpretation nicht in vollkommen gelassener Distanz durchsetzbar war, liegt auf der Hand; und eine künstliche Gelassenheit gegenüber der Interpretation des eigenen Werkes hätte wohl auch nur dessen Neutralisierung zur Folge. Sich also dem Vertrauten noch mal vorbehaltlos zu öffnen, bewegt sein, ohne eingenommen zu sein, dies trifft daher eher den Kern der Arbeit.

Thomas Chr. Heyde

Nr. I »The great and wonderful introduction«

(»Die großartige und wundervolle Einleitung«): pathetische Gesten – inhaltsleer…

Nr. II

Fünf Takte des Ensembles, die sich [liveelektronisch moduliert] wiederholen und von einem Soloklavier unterlegt sind, das ebenfalls fünf Takte spielt. Die festgelegte Passacaglia-Basstimme und die darüber modulierenden Oberstimme des Klaviers haben allerdings ein anderes Tempo als das übrige Ensemble.

Nr. III »Crying« [for AI and the evil in ourselves]

(»Schreien« [für Amnesty International und das Böse in uns selbst]): wahrhaftige Idylle im Sinne einer homogenen Klanglandschaft. Wenn es nur nicht dieses Originalgeräusch wäre…
Noten können nicht sehr krank sein, Menschen schon.
Sind Sie sehr gesund?

Nr. IV

Vieles blüht auf, vieles zerbricht. Ein persönliches Stück – nicht mehr, nicht weniger.

Nr. X

Ein Stück, ein Bruchstück und Überleitung zu:

Nr. VI »The big fucking final« [for Bush]

(»Das große ‚verdammte’ Finale« [für Bush]). Wie sein Widmungsträger, so ist auch das Stück (musikalisch-)bigott, reichlich platt, latent gewalttätig, mit einfachen Gesten ausgestattet und sehr überzeugt von sich. Und natürlich endet es mit großer Siegergeste.

Thomas Chr. Heyde

*) S.O.S

Titel: Komponisten-Idee, Konzertsaal ins Internet verlegt
Publikation: Stuttgarter Zeitung, Neue Züricher Zeitung

Komponisten-Idee
Konzertsaal ins Internet verlegt

Frankfurt/Main - Pop- und Tanzmusik bringt sich im Internet laut zu Gehör, Musik zeitgenössischer Komponisten aber hat es auch im Computernetz nicht leicht. Um ihre Stimmen vernehmbarer zu machen, hat eine Gruppe von Künstlern in Österreich das Web-Projekt aAmplify gestartet. In seltener Fülle finden sich dort Kompositionen, Videos, Fotos und Texte zu einem digitalen Gesamtkunstwerk zusammen.

“Ich möchte Musik schreiben, die Hörer in eine Art Whirlpool zieht und die Kraft hat, sie an einen anderen Ort zu bringen” - mit diesen Worten beschreibt der 28-jährige gebürtige Innsbrucker Johann Maria Staud ein Ziel seiner künstlerischen Arbeit. “Beim Komponieren geht es allein um Kommunikation.” Im Internet ist Staud mit seiner Arbeit “A Map is Not the Territory” zu hören - begleitet von ergänzenden Texten, Kurzvideos aus dem Studio des aAmplify-Projekts und der Abbildung einer Seite der Partitur. “Jede der zehntausenden von Noten in jedem großen Stück Musik ist eine Entscheidung und ein Akt, bei dem Tinte auf Papier oder eine Mauseingabe in eine Datei gebracht wird”, erklärt der Gründer des Web-Projekts, Stephen W. Ferguson, zum Komponieren im digitalen Zeitalter.

Um die Musik möglichst vielen Internet-Nutzern auf den Lautsprecher zu bringen, werden die Daten in verschiedenen Formaten und für unterschiedliche Player bereitgestellt. Da hierbei ausschließlich Streaming-Techniken zum Einsatz kommen, kann die Musik nicht gespeichert und kopiert werden - geplant ist allerdings auch ein Shop, in dem man einzelne Werke gegen Zahlung einer Copyright-Gebühr für den Komponisten auf die Festplatte oder für den MP3-Player herunterladen kann.

Bislang sind bei aAmplify die Werke von 14 Komponisten zu hören. Von ihnen plädiert Jorge Sánchez-Chiong dafür, das Internet nicht lediglich als eine Art neues Fernsehen zu betrachten. “Wir müssen es als ein Medium von ganz eigener Art betrachten und seine Tiefen ausloten.” Dies kann dann auch zu Kreationen wie den “Sound-Skulpturen” von Iby-Jolande Varga führen - bewegte Flash-Animationen, die sich eine musikalische Begleitung wünschen.

In den “Frequently Asked Questions” gehen die aAmplifier auf zwei Fragen ein, die immer wieder an die zeitgenössische Musik gestellt werden. Ist das wirklich bedeutende Musik, was da gespielt wird? Die Antwort: “Wir denken, dass jeder Komponist und jede Komponisten seine oder ihre Version von Wahrheit hat, und dass ihre Musik gehört werden sollte.” Warum aber ist diese Art von Musik so unpopulär? Hier antworten Ferguson und seine Mitkünstler: “Weil sie schlecht produziert und schlecht vermarktet wird - zwei Dinge, die wir versuchen, hier zu korrigieren.”

Vielleicht kann das Internet die zeitgenössische Musik einmal aus ihrer Nische herausholen. Zumindest hat der Leipziger Komponist Thomas Christoph Heyde festgestellt, dass dass dort “wesentlich mehr Menschen meine Musik anhörten, als normalerweise Besucher ins Konzert kommen”. Und es bietet sich die Chance, die Kluft zur so genannten populären Musik zu überbrücken. So berichtet Heyde, dass er in letzter Zeit häufig in Clubs eingeladen worden sei, in denen die Musik sonst vor allem vom DJ aufgelegt worden sei. “Die Resonanz, die ich da erhalten habe, war für mich derart überraschend, dass ich mich doch frage, inwiefern nicht die Abgrenzung zwischen den Sparten dem Publikum auch den Weg verstellt hat. Denn wen interessiert es heute noch, wie die Musikrichtung heißt, die man macht?”

www.aamplify.at
www.tchey.de

Titel: Thomas Christoph Heyde
Publikation: mouvement nouveau/tokafi

Thomas Christoph Heyde is one of Germany’s most important young composers. His numerous works have been performed on their own and on many different festivals. As an artistic director of radio broadcasts and different projects, he is also responsible for quite some programming himself, always trying to stimulate interest in new experimental music. We talk to him about his current interests, his view on the art scene and the internet - and on “High-Culture Motherfuckers”.

Movement nouveau: Hi! How are you? Where are you?

Heyde: I’m fine, thanks. I live in Leipzig, but I’m in Berlin right now.

MN: How are preparations for your new work for the Gallery for Contemporary Art progressing?

H: »Frost«, which I am currently working on in the Studio, is a pretty complex piece for violoncello, live electronics and five video screens. This is a collaboration with video artist Ulrich Polster and we are working on it in a quite unusual process. The reason for this is that we are not simply trying to backup a video with environment just as music, or the other way round, but instead we are in close contact at every stage of the work – naturally with him handling visuals and me creating sounds. We are meeting on a frequent and regular basis, presenting our ideas as well as the realisation of sounds and images to each other, talk about form and content, listen a lot and look at parts of the video material a dozen times in a row. Then we go our separate ways gain, continue working or wait until the other uploads a new »take« on the server, which can then be used as a template or a basis for discussion.

MN: There have been a few controversies surrounding your work and activities. When I read the comment aries on your website, I didn’t have the impression that you were necessarily out to »shock« anyone, merely on the search for exciting new possibilities. Am I wrong or where does this misunderstanding come from?

H: As an artist I view my primary duty in reflecting my environment just as much as my private sphere. Naturally, this can come to a head-on collision with the »Zeitgeist« - if one refers to the »present« or a specific way of historic reflection or the development of vision-potentials - or at least with a certain way of thinking. Especially in the media-society we live in today, which finds it hard to develop linear potentials of thinking from its heterogeneity, I feel it is one of my important tasks to raise awareness for processes, which seem to lie outside of the realms of what is usually considered »relevant« or »authentic«.
In order to understand society, one must deal with it and for me, one way of dealing with society is the possibility of harking back to mechanisms, which it (society) uses everyday. To be more concrete, this means that I ostensibly use regular things as an envelope in which I place different contents; these being exactly the ones, whom the recipient will not expect on the basis of its cover. If you should feel this sounds as though I am putting an emphasis on change, then you are correct. It is a great responsibility as well as a unique opportunity to say something which others can not or may not express. This means that I only chose to stand »at the edge«, if it means that it enables me to act independently – and by »acting« I do not mean expressing what one is against, but in favour of; which as a rule of thumb is always more »dangerous«.

MN: Let’s turn to one of these controversies: Why on earth did local german broadcasting company MDR refuse the titel of your work »High-Culture - Motherfuckers« ? Didn’t you feel that this kind of behaviour was exactly the one the piece was directed against – Narrowmindedness and unreflected category-thinking?

H: You have to know one thing beforehand: At that time, as a freelance employee, I was responsible for a series of concerts on new music at the MDR. Quite soon, there were fierce debates on the contents of this project and its profile. The MDR is Germany’s second biggest broadcasting service and is not exactly an icon of innovation in the field of contemporary art. If one is used to working in teams with flexible and relatively unbureaucratic structures, an organisation such as this one can pretty quickly set one’s boundaries. Especially, when you have proven yourself to be suspiciously flexible. By dealing extensively with institutions, I realised that the key factor for actions of people within these mechanised structures is fear. This inertia, which results from fear, is exactly »High-Culture - Motherfuckers« central theme. It was of course inconvenient for the MDR that I received a remit for an ensemble belonging to the MDR at the exact time of the dispute. Since there was no kind of loyalty in my position as an artist, I knew I had to react in some way and as I had dealt with it long enough, I knew just as well what the reaction of the institution would be: Prohibiting a performance under the chosen name. When this happened as predicted, I reacted with a personal press statement and a massive marketing campaign for the piece, which made things even more embarrassing for the MDR, but naturally led to me being dismissed. In a certain way, you could call this piece a layoff by notes.

MN: Another heavily debated issue was an open letter of protest after a music festival in Donaueschingen. What was that all about?

H: As I already mentioned, I deal with the way and the conditions in which art is being displayed and represented. An important place for sustainable reflection of contemporary music has been for many decades Donaueschingen. As the music- and festival scenery have extremely changed in the past decade, it seemed necessary for my friend Péter Köszeghy and me to more clearly define the much regretted claim that there is nothing »new« any more and to start a fundamental debate. We got ourselves the domain www.donaueschingen.org and published a paper with theses on the situation of new music. Our basic aim was to ask questions about the contents and the current position of new music in today’s society. We were totally unprepared for the backlash resulting from the (admittedly) provocative theses in the media and those affected by them as well. You can by the way read about the discussion on http://www.donauwelle.org or in the special edition of the NMZ of that time (Dossier, »Aufstand der Komponisten« http://www.nmz.de/nmz/nmz2002/nmz02/#dossier ). The use of the domain www.donaueschingen.org was by the way prohibited by threat of a horrendous sum of compensation. (You can read about this in a related gloss, http://www.nmz.de/nmz/nmz2002/nmz02/internet-webwatch.shtml)

MN: Your letter brings something to attention which should be fairly obvious: That there is a natural friction between New Music and an institutionalised New Music »business«. Why do you feel have there been so many enraged reactions and animosities?

H: I think what we did, was to express in an unpleasantly open way what quite a lot of those active in this relatively autarkic scene consider as a worst-case scenario: That academic new music loses itself in complete insignificance, because it is not able by itself of opening up and thereby of renewing itself. And by »opening up« I expressely do not mean inviting artists from other branches, merely because it is considered fancy. Regrettably, the scene tends to react only when their money is concerned or – which is considered even worse – someone from their own ranks finds reason for criticism. What a lot of people forget is that we (and by this I especially mean those responsible for realisation and representation: Organisers, publishers, broadcasting services and others) carry a responsibility – or to use a phrase from realpolitik, a »mission of education«. Among other things, this means mobilising and funneling the potential, which is present in the scene without any doubt, to a broad audience – by moderation. It just is not like a few decades ago any more, when one could justly say that only an enlightened circle of few had the maturity needed to understand this music – because you just can not walk away from one simple fact: There are a lot of scenes involving music and arts beyond new music, which have to be taken just as serious. Examples are the »ambient« or »sound-scape«-scene or the area of experimental electronic music from the club-context, which deals with the same musical processes as academic serious music – not to mention the complex area of media arts.

MN: Can a part of the problem not also be attributed to the difficulty of defining what exactly is »New« in music? What is your opinion on this?

H: There are two difficulties: For one, we live in a time of visual primacy with a less distinct sensitisation for acoustic processes (which by nature are already clearly more abstract) than for optical ones. Therefore, it is harder to indentify the »new« when listening; furthermore, the creation of different parallel musical scenes has led to an extreme secularisation, without necessarily involving more communication within the scenes. And hence, questions are not approached collectively. » New« has become such a materialistic and simplistic term and not rarely a superlatively-spectacular attribute in commerce, that it can hardly be used without a defining context. (In as such, I find the use of the term , » new music« quite grotesque nowadays). It is my personal belief that the term »New« is inextricably connected to other questions, such as those towards originality, extending the borders of acoustics and formality, suspense, dramaturgy, content, etc… So essentially, a record by Björk can be called modern, while a new piece by Rihm can be characterised as old (even though no one within these circles will admit this). And can it not be said that op. 111 by Beethoven is still new and »Il canto sospeso« by Nono still relevant?

MN: Your friend Peter Köszeghy greets visitors to his page with a Xenakis-quote, stating that one should be able to understand music without reference to special education. Do you agree?

H: To a certain extent. Of course, with Xenakis, such a comment is unsuspicious, as it has to be seen against his own dealing with the central-European academic concept of art. And, of course, also in which time it was made. On the other hand, populists quite frequently tend to say something quite similar – while meaning something entirely different. Music, which not only serves as a satisfaction of the senses or as an acoustic decoration, will always need listeners, which turn their full and conscious attention to it. I however strongly doubt, whether such a conscious listener requires a special education, as we are all equipped with ears and they all operate in roughly the same parts of the frequential spectrum. What I find much more disturbing, is the fact that open-minded listeners, which exist without any doubt, are too rarely exposed to this kind of music; which, again, has to do with the before mentioned problem of mediation. By the way, I am not exactly fond of the blatantly arrogant thesis that listening to complex or intellectually demanding music has something to do with a certain level of education. Not seldomly have I found that those with the highest level of education turned out to be the most small-minded. It is a great fortune that listening is such an abstract process that it can not only be attributed to the intellectual capabilitites of the recipient in which way he or she understands music. And I am glad that sensual listening experiences are no longer regarded as intellectually undemanding in »new-music-circles« any more. And when it comes to creating sensual experiences, which nonetheless base on theoretically founded structures, then Xenakis is without doubt one of the greatest masters of the 20th century.

MN: A question in the same vein: You are a fierce opponent of elitism in Modern Music. But what exactly do you feel could attract »outisiders« to this kind of music? The inclusion of traditional harmonies? Spectacular media? Does Modern Music need to compromise inorder to survive?

H: To me, there are several factors, which could contribute to more young people being interested in this kind of music. Each new medium and even more the combination of different media need time – even opera needed more than just a few decades to gain the importance of its golden age. We are dealing with a fundamental change in music, therefore it is impossible to predict even cautiously what the next decades might bring. As different fields of art move ever closer together, it is quite natural that after a time of experimentation, we are moving into a phase of consilidation with regards to the choice of means (even though the greatest part of the heated debates and austere techniques of the 50s and 60s have vanished, some approaches have remained and are still relevant today). And I am certain that there will be a homogenisation amongst listeners. I think a lot of potential listeners are deterred of going to concerts by the way these are presented. I myself (who has a natural connection) quite often lack the motivation of taking seat in a dusty environment and listening to programmes I have heard times and times before. Even though sometimes at least the names change…
There is a plethora of factors which can ease access. As an organiser or mediator of this music I have to think about how (!) I organise these concerts. Sometimes effective advertisements are enough, or an unusual hall, a bar where one can talk, the lighting, the design of the room or other medial components and of course: an uncompromising programm with a clear content and not a mashed up potpourri designed by trendsetters and connected to an »artistic meat inspection«.

MN: You are constantly working on concerts and you haven’t – if I am not mistaken – yet recorded a CD. Does this mean you still view the concert as the most important place to listen to music?

H: But yes! One should not forget that a concert and music on a stage are not only an aesthetical event, but just as much a social and quite often a theatrical one. I try to bear this in mind when realising my own works and when organising concerts. There are of course several CD releases (among others festival-compilations), which include renditions of my works; but I have up to now found it hard to release my music on a different medium, which only insufficiently reproduces what is really happening. You have to realise that a substantial part of my works is conceived with space in mind or in surround-sound or in combination with a lot of other media such as video or light.
Another thing is that as I am working as a producer for broadcasting services and other artists I am (admittedly) extremely squeamish about the qualitity of productions. I take about as much time for a broadcast production as others might for a CD. To be honest, I never understood why so many quality criteria were neglected precisely in new-music productions, when there are sufficient technical possibilities to authentically realise a given original. Of course, this is time-consuming and also pretty expensive, but I am of the opinion that it is the right way to avoid trade-offs in quality – especially when such complex acoustic processes as those in contemporary music are concerned. I have about thirty productions available which others would have released on CD without hesitation. But I want to realise something which was really conceived especially for the medium and not just pressed onto it.

MN: An album is however projected for 2005. What can you tell us about this upcoming CD? Which artists are you going to collaborate with?

H: There will be a DVD. For this project, I will collaborate with artists and ensembles from contemporary serious music as well as jazz musicians and electronic musicians from club culture. There will also be a collaboration with video artists.

MN: How do you view the Internet as a sales medium for as yet fairly unknown artists? How is it working for you in order to sell sheet music of your pieces?

H: As I am fortunately not dependent on selling my music, I can offer my music for free listening. This is important to me, because I foremost care about circulation and not commerce. Apart from that the Internet is the most essential medium for me, because I use every opportunity to handle things through the Internet and it enables one to present ones works and person.

MN: Where, if any where, do you feel your diverse activites are leading you?

H: I have, if I’m not mistaken, the feeling that things are flowing and that I can be a part of the decision, where they should be flowing to. I find our time to be extremely exciting, full of positive tension and plentifull and I am happy to have the privilege to be a part of it and to have the opportunity and the means to express myself.

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Titel: Leipziger KulturKöpfe: Thomas Christoph Heyde und die Krise der Neuen Musik. Nachwuchskomponist zählt die allmächtigen Festivals an.
Publikation: LVZ

“Ich weiß selber nicht, woher ich die Kraft nehme”, entfährt es Thomas Christoph Heyde unvermittelt. “Es ist ja fast alles ehrenamtlich, oft sehr mühsam und gegen absurde Widerstände.” Doch der flüchtige Schatten auf seinem Gesicht bleibt nicht lange. Heyde rückt entschlossen seinen Stuhl zurecht, bekräftigt mit fester Stimme: “Ich kämpfe für eine Idee, eine Vision. Meine Sache ist konsequent - und wird sich durchsetzen!” Da hat unser Gespräch bereits zwei Stunden gedauert, und es ist noch lange nicht zu Ende.

Aber eines ist klar: Wenn es einer schafft, dann er. Oder einer der ähnlich tickt, ähnlich besessen ist, selbstbewusst, beharrlich. Heyde führt einen Vielfrontenkrieg: Der 28-jährige Leipziger ist Komponist, aber keiner, der sich von Auftrag zu Auftrag schreibt. Keiner, der Strukturen hinnimmt, sich geschmeidig einfügt. Ihm geht es um Inhalte. Darum haben er und Kollege Pèter Köszeghy sich einen starken Gegner ausgesucht: Die berühmten, bornierten, ritualisierten Donaueschinger Musikfestspiele am anderen Ende der Republik: “Wir beobachten seit langem die Festivalszene. 2001 war wieder ein desaströser Jahrgang. Und das Jammern ist groß, die Musik stecke in der Krise, es gebe nichts Neues, junge Komponisten hätten nichts mehr zu sagen.” Dem Endzwanziger schwillt der Kamm: “Es ist nicht so, dass es keine zeitrelevanten Inhalte mehr gibt, die als Kompositionen ihren Ausdruck finden. Doch kann man nicht erwarten, dass diese von Schülern oder Epigonen der entscheidungstragenden Personen kommen.” Und weiter: “Man muss die Frage stellen, ob diese Krise nicht eine der Institutionen und ihrer Entscheidungsträger ist.”

Starker Tobak: Da zählt ein Nachwuchskomponist die allmächtigen Festivals an. Dabei ist doch alles so schön: Man ist unter sich, begrüßt sich mit Küsschen, findet alles toll. Doch hat längst die ästhetische wie inhaltliche Inzucht das Ruder übernommen. Eine ganze Komponistengeneration hat von und mit diesen Festivals gut gelebt. Drum hat es im inneren Kreis der Macht und der Macher nie jemanden gestört. Und die breite Öffentlichkeit nimmt eh’ keinen Anteil mehr.

Das will Heyde ändern. Er und Köszeghy haben einen offenen Brief verfasst, ihn auf der Domaine www.donaueschingen.org ins Netz gestellt - und eine Lawine losgetreten. Denn sie sind nicht allein, formulierten, was vielen auf der Seele brennt. So vielen, dass auch Donaueschingen aufwacht. Allerdings nicht inhaltlich: Die Stadt (nicht das Festival, das sortiert seine Fäden aus sicherer Deckung) schickte Anwälte in den Ring, die die Seite dichtmachen ließen. Name geschützt, Inhalt egal. Punkt. Aber die Debatte lässt sich nicht abwürgen. Der Stein rollt - auch im Netz (siehe unten).

Nun ist es so eine Sache, über Festivals zu maulen. Da liegt der Verdacht nahe, da spucke einer Gift und Galle, weil er selbst nicht zum Kreis der Erwählten zählt. “Ich kann mich über mangelnde Aufführungsmöglichkeiten nicht beklagen”, lächelt Heyde fein. Drum gibt es für ihn nur eine Konsequenz: Machen. Das tut er seit langem - und erfolgreich. Er bündelt das Tun des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig, in dem auch Persönlichkeiten wie Gerd Schenker, Matthias Sannemüller, Axel Andre leitend mitwirken. Rund zehn Konzerte veranstaltet das Forum im Jahr. Und bei der Durchführung hilft ein eigenes Ensemble wirtschaften. Ab diesem Jahr richtet Heyde für den MDR die Konzertreihe “SenderMusik” aus, die auf die MDR-Klangkörper zurück greifen kann und einen Wettbewerb einbezieht. Auch bei diesen Projekten geht es um Inhalte, also um Publikum: “Wenn Kunst eine soziale Aufgabe hat, kann sie die nur wahrnehmen, wenn sie ein breites Publikum erreicht. Mit dem Rückzug vom Willen, ein Publikum zu erreichen, verkommen Inhalte zu allenfalls ästhetischen Betrachtungen.”

Wie Heyde neue Strukturen sieht, hat er im letzten Jahr mit dem Jubiläums-Herbstfestival 10 Jahre Musik-Zeit gezeigt: Sieben Konzerte mit sieben Ensembles und Solisten und sieben Uraufführungen. Nichts davon passte in Schubladen. Offenheit - das ist für Heyde eine der wichtigsten Vokabeln. Denn nur aus ihr kann Neues entstehen. Und sie bezieht sich nicht nur auf die Grenzen zwischen Musik, Tanz, Kunst, Theater, Elektronik, Installation, sondern auch auf die ohnehin oft nur behauptete Ambition. Heyde: “Zu lange haben die Macher musikalischer Moderne den großen Feind in der Popmusik gesehen, unterhaltsame, rezipierbare Musik als Feindbild aufgebaut.” Aus dieser Einschätzung sollte man indes nicht den Schluss ziehen, Heydes Musik schmeichle gefällig dem Ohr. Die existenzielle Suche nach Inhalten, sein Bedürfnis, sich einzumischen spannt jede Faser seines Schaffens. Heyde leidet an der Welt. Und das hört man seiner Musik an. Ernst ist sie und kantig - aber sie versteckt sich nicht hinter wohlfeilen Schulgebäuden. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen.

Für die Spielzeit 2003/2004 plant Heyde sechs “Tage für Zeitgenössische Musik und Kunst Leipzig”. “Ziel ist es, Veranstaltungen Zeitgenössische Kunst in Leipzig zu bündeln.” Bildende Kunst, Literatur, Darstellende Kunst, Musik bekommen jeweils einen Schwerpunkt-Tag. Das Kulturamt der Stadt sitzt im Boot - und die allmächtigen Macher aus Donaueschingen und Witten wären gut beraten, dann einmal einen längeren Blick nach Leipzig zu werfen.

Peter Korfmacher

Titel: Schwebungen Interview mit dem MDR zur UA von “Schwebungen”

Du hast für den Internationalen Bachwettbewerb 2000 in Leipzig ein Cembalo-Stück geschrieben, eine Auftragskomposition, die in der zweiten Runde des Wettbewerbs gespielt werden sollte. Wie bist Du an diese Komposition herangegangen?

Heyde: Nun, ich habe mir gedacht: Das Stück soll für den Bachwettbewerb sein und der ist nicht unbekannt. Es sind großartige Leute, die dort spielen. Denen kann man auch eine gewisse Komplexität zumuten. Das Stück sollte also virtuos und rhythmisch komplex angelegt sein. Das resultiert auch schon aus dem Instrument. Das Cembalo wird bösartigerweise auch als die ´Nähmaschine´ unter den Instrumenten bezeichnet. Warum? Beim Cembalo besteht ja das Problem, dass die Töne nicht lange klingen. Daraus ergibt sich auch, dass ein Cembalist entsprechend schnell spielen muss, damit keine ´Leerstellen´ entstehen. Dadurch haben Spielweise und Klang auch etwas Mechanisches. Das steht in meinem Stück auch im Vordergrund. Am Anfang werden harmonische und rhythmische Grundstrukturen vorgestellt. Dann nimmt das Tempo zu, bis sich alles nur noch um zwei bis drei Töne dreht. Dann rückt das rhythmische Geschehen natürlich ins Zentrum. Und so rast das Stück in vier bis fünf Minuten förmlich durch.

Das mechanische Element bleibt also als Grundidee hörbar. Du hast Dein Stück allerdings “Schwebungen” genannt. Wie kommen die dann zustande?

H: Die Cembalistin Christiane Schornsheim hat mir bei der Vorbereitung auf das Instrument den Hinweis gegeben, dass man die zwei Manuale, auf denen gespielt wird, unterschiedlich stimmen kann. Das habe ich genutzt. Der Interpret muss während meines Stückes häufig und schnell zwischen beiden Manualen hin und her springen. Ansonsten ist es im traditionellen Bereich ja eher schwierig, verstimmt zu arbeiten. So aber besteht eine Schwebung zwischen den beiden Stimmungen - der heute üblichen und der älteren barocken, die um einige Hertz geringer, also tiefer ist.

Du hättest natürlich auch eine bestimmte Fuge bearbeiten können, um den direkten Weg zu Bach zu nehmen. Du gehst aber abstrakter ran, indem Du nicht Bach, sondern den Klang der Barockzeit über die damals übliche Instrumenten-Stimmung zitierst. Welches Verhältnis hast Du dann überhaupt zum großen Meister?

H: Ich kann meine Tradition nicht unmittelbar bei Bach ansiedeln. Das sage ich ganz klar. Wenn ich Tradition sage, meine ich überhaupt nur die letzten hundert Jahre. Ich interessiere mich schon für die Musik Bachs, aber ich beschäftige mich mehr mit Dingen, die mir viel gegenwärtiger sind. Dazu gehören auch Literatur oder Malerei. Wenn man eine gewisse Offenheit hat, dann ist es gar nicht mehr interessant, wo man ´herkommt´, wer einen musikalisch beeinflusst hat. Interessant ist da eher die Verhältnismäßigkeit. Am Ende setze ich mich ganz traditionell an den Schreibtisch und muss meine eigenen Noten finden. Und da hilft mir kein Beethoven, kein Mahler und auch kein Computer.

Die Verstimmung des Instruments schien sich dann ja regelrecht auf die Auftraggeber bzw. die Teilnehmer zu übertragen. Im Pflichtkanon beim Bach-Wettbewerb stand Dein Stück dann nicht mehr. Es blieb den Cembalisten überlassen, die “Schwebungen” oder ein anderes zeitgenössisches Stück zu spielen. Ist Dein Werk also nichts für Puristen?

H: Ich weiß es nicht. Ich persönlich habe nur eMails oder Faxe bekommen, bei denen es um technische Details ging. Natürlich ist das Stück eine Herausforderung. Musik unserer Tage ist nun mal eine Herausforderung, der sollte man sich stellen. Sonst darf man solche Aufträge nicht vergeben! Ich bin es gewohnt, Schwierigkeiten die mit der Umsetzung meiner Werke zu tun haben - mal sanft, mal resolut - aus dem Weg zu räumen…

Du hast in verschiedenen Tonstudios gearbeitet, unterrichtest im Medienkunstbereich der Hochschule für Grafik und Buchkunst und veranstaltest auch Multimedia-Events. Gleichzeitig hast Du zwei Drittel Deiner Kompositionen für klassische Instrumente geschrieben. Auch Deine Komposition für den ehrwürdigen Bachwettbewerb sollte in einem konventionellen Rahmen auf einem konventionellen Instrument umgesetzt werden. Machst Du Dir eigentlich Gedanken über Dein Publikum?

H: Zunächst, glaube ich, muss man sich vom klassischen Komponistenbild verabschieden. Es gibt da keine klaren Kategorien mehr. Ich arbeite eben auch als Medienkünstler und die Konzerte, die ich organisiere, entstehen zusammen mit Lichtdesignern, Malern, anderen Künstlern. Was ich mir wünsche ist, dass es nicht so akademisch, nicht so kammermusikalisch abläuft und dass dadurch auch ein anderes Publikum angesprochen wird. Ich stelle mir schon immer wieder die Frage, was sind das für Leute, die heute leben. Sie leben mit Computer, Internet, sind relativ umfassend informiert. Und der Mensch hat heute die Möglichkeit, breiter wahrzunehmen.

Du könntest Dir also vorstellen, Deine Schwebungen auch bei einem Multimedia-Ereignis aufzuführen? Wie würdest Du herangehen?

H: Möglich wäre dies, zumal ich nichts davon halte, Werke, die in anderen Zusammenhängen oder Zeiten entstanden sind, gänzlich von einer zeitgemäßen Sichtweise abzuschotten. Allerdings gibt es hier Grenzen. Denn nur weil “Multimedia” drauf steht, muss nicht auch Substanz drin sein. Bezogen auf die “Schwebungen” glaube ich, dass andere Werke von mir sich besser für eine solche, multimediale Umsetzung eignen würden. Dennoch: Möglich ist alles, schließlich hat Kunst ja etwas mit Freiheit zu tun…

(Interview: Pina Scholz)

Titel: Besonders brisant
Publikation: Leipziger Volkszeitung

Besonders brisant

Thomas Christoph Heyde hat ein Stück geschrieben. Das ist an sich nichts Besonderes. Denn damit verdient der Leipziger Komponist seine Brötchen. Weil aber die Kunst nicht ohne das Besondere auskommt, hat er seinem Stück einen ganz besonderen Namen gegeben: “High-Culture-Motherfuckers for 4 drummers and electronic”. Das ist Englisch, heißt im zweiten Teil “für vier Schlagzeuger und Elektronik”, und im ersten “Hoch-Kultur-der-Mutter-Beiwohner”. Oder so. Damit ist die Aufgabe eigentlich erfüllt. Denn “Der Mutter Beiwohnen” ist ganz besonderer Schweinkram. Hochkultur hin, Hochkultur her. Doch mit der Aufgabe ist es so eine Sache. Denn Heyde hat sie sich nicht selbst gestellt. Der Mitteldeutsche Heimatfunk hat ihm den Auftrag erteilt. Das ist eine besondere Ehre. Und der muss der Tonsetzer sich als würdig erweisen. Durch würdevolles Setzen von Tönen beispielsweise, über die er dann einen würdevollen Titel setzen kann. “Hymnus” würde gut ankommen oder “Ode” oder “Gesang” oder “Stille Nacht, heilige Nacht” (leider schon vergeben). “Hoch-Kultur-der-Mutter-Beiwohner” eher nicht. Auch nicht auf Ausländisch.

Derlei Ablenkungsmanöver ziehen selbst beim MDR nicht mehr, der hinreichend polyglott geworden ist, um sich nicht aufs Glatteis führen zu lassen. Vielleicht hätte Heyde es mit der Sprache der Musik versuchen sollen: “Alta-cultura-concubino-di-suo-madre” zum Beispiel. Das ist hanebüchenes Italienisch, klingt besonders schön - aber nicht mehr so immens politisch und anklägerisch wie die Urversion. Und zu spät ist es auch.

Der Mitteldeutsche Auftraggeber hat sein Missfallen an der brisanten Titelei nämlich schon besonders deutlich kundgetan. Der Tenor: So ein Schweinkram kommt uns nicht in die “Sende(r)musik”. Die betreut Heyde zwar eigentlich selbst, aber gesagt ist gesagt. Also hat der Komponist sich etwas ganz besonders Schlaues einfallen lassen. Nun lässt er sein Opus als “HighCultureMotherf” aus der Taufe heben. Damit können die Funker leben - obschon auch so alles klar ist. Schließlich wird dies niemand im Geiste zu “HighCultureMotherfüllfederhalter” ergänzen. Hat der Komponist durch die Hintertür doch all seine Subversion untergebracht! Bleibt nur die Frage, wozu man eigentlich nun die Musik noch braucht.

(Peter Korfmacher)

Titel: Rezension »Ensemble« für präpariertes Klavier
Publikation: Leipzig Almanach

Thomas Chr. Heydes Stück “Ensemble für präpariertes Klavier” wurde solistisch von Eckehard Schubert aufgeführt. Macht man sich den Sinn des Wortes “Ensemble” einmal bewusst, entsteht ein eigenartiger Widerspruch: einerseits ruft es das Bild von einer Gruppe individueller Teile hervor, andererseits steckt in dem lateinischen Ursprung auch “similis” - “ähnlich”, was die Betonung eher auf das “Gleiche” im Ensemble legt.

Das Ganze wird durch die Präparierung einzelner Bereiche in individuelle Stimmen zerteilt. Es entsteht ein “virtuelles” Ensemble und die sonst eher homogene Klangmasse des Klaviers wird demontiert. Dabei entwickelt sich keine Vielschichtigkeit im Sinne einer Überlagerung und Verschmelzung der einzelnen Klänge, vielmehr grenzen sich die “Spieler des Ensembles” durch ihre Verfremdung voneinander ab, bleiben autonom. Zunächst irritiert die Klangverschiebung zwischen den präparierten und unpräparierten Bereichen, doch schon bald scheinen die verfremdeten Klänge vertrauter als die bekannten.

Das Klavier wird Schlaginstrument, was eine fremdartige Sperrigkeit hervorbringt. Die Klangbruchstücke werden aneinander geheftet, ohne dass zwischen ihnen wirklich ein durchgehender Rhythmus erscheint. Dieser bleibt noch im Gestus des Interpreten angedeutet, vielleicht um die Bewegungen zwischen den rhythmischen Fragmenten zu vollziehen, vielleicht aber auch als rudimentärer Ausdruck eines fließenden Klangs. Die Verbindungen erscheinen unterbrochen und der Klang wird auf sein absolutes Minimum reduziert. Einzelne Töne und die Räume zwischen ihnen markieren die vergehende Zeit.

Ein “des” wird über eine lange Sequenz immer wieder von neuem aufgerufen, als insistierte es darauf, gehört zu werden, wird zunehmend stärker angeschlagen und weigert sich doch sogleich zu klingen. Die Präparierung dämpft es extrem, wobei dennoch der Eindruck des Lauten und Starken, hervorgerufen durch den körperlichen Ausdruck des Interpreten, bleibt.

Wieder wird die Hörgewohnheit gebrochen, da die Diskrepanz zwischen der Stärke des Anschlags und der ausbleibenden Wirkung im Hörbaren kaum überbrückt werden kann. Durch diese subtile Verfremdung wird der ursprüngliche Ton aus der Erinnerung hervorgerufen und, indem er fehlt, ins Bewusstsein gerückt. So bleibt der Gestus des Interpreten oft völlig losgelöst von dem durch ihn erzeugten Klang. Diese Trennung lässt den Eindruck entstehen, dass auch er nur einer der “Spieler im Ensemble” ist.

(Ulrike Felsing)

Titel: Rezension »Aufstieg-Umgang-Abgang«
Publikation: Leipzig Almanach

Instrumentalklänge neu zu entdecken, ist auch das selbsternannte Ziel von Thomas Christoph Heydes „Umgang-Aufstieg-Abstieg“ für Blas- und Schlaginstrumente, Tonband und Liveelektronik. Aus einem Klangrausch, der aus der Tiefe aufsteigt, stechen auf fast explosive Art die einzelnen Liveinstrumente hervor. Die Ruhe nach dem Sturm wird eingeleitet durch Küss- und Schmatzgeräusche, deren Herkunft von einer Quietschente dem Ganzen den Ernst nehmen soll. In der darauffolgenden Stille und dem ruhigen Innehalten wird der Klang aufgesplittet in eine flache Ebene mit Vogelrufen und Glockenläuten. Auf diese Weise erhält er nicht nur eine quasi räumliche, sondern auch eine überraschend narrative Dimension. Wenn sich danach die Klänge wieder zu einer festeren Masse verdichten, sind die Klangfarben bestimmter, sie sind identifizierbar geworden, nicht mehr chaotisch, wie zu Beginn. So scheint die Musik auch in dieser Phase etwas zu erzählen, besitzt einen zusätzlichen, verschieden deutbaren Gehalt. Am Ende dieser Entwicklung steht das Zusammenspiel der Instrumentalisten, das nun kammermusikalische Qualitäten annimmt. Fast mutet es wie eine Heimkehr zu den Anfängen des klassischen Musizierens an.

(Marcus Erb-Szymanski)

Titel: Interview zum Festival »MachtMusik«
Publikation: Wahrschauer

Wahrschauer: Wie viel Werbung habt ihr für das Festival gemacht?

Heyde: Plakat, Programmflyer und Postkarten in Leipzig, Halle, Dresden und Umgebung. Viel Werbung aber auch über Foren und unseren Email-Verteiler, der ca. 8000 Leute umfasst und natürlich Pressearbeit mit Schwerpunkt auf den Musik- und Politik-Medien. Wir partizipieren sehr von der Vernetzung, die bei klarer inhaltlicher Bestimmung auch Programm ist.

W: Haben die Zuschauerzahlen euren Erwartungen entsprochen?

H: Bei den Open-Air und U-Musik-Veranstaltungen einigermaßen, bei den E-Musik-Konzerten keinesfalls.

W: Was genau war das Ziel dieser Veranstaltung, bzw. was wolltet ihr in der Öffentlichkeit und bei den einzelnen Besuchern bewirken?

H: Uns ging es in erster Linie darum einen Diskurs über politische Musik anzustoßen und zwar jenseits der Foren, wo sie schon immer (und manchmal auch nur scheinbar) abgehandelt wird. Vor allen wollten wir klar machen, wie breit das Spektrum sein kann und wie viele Möglichkeiten der Betrachtung es gibt.

W: Ist für dich persönlich Musik immer mit Politik verbunden? Gibt es unpolitische Musik?

H: Ich glaube Kunst hat immer auch ihre politische Komponente, wobei der Betrachtungswinkel sicher sehr entscheidend ist. Also: wie begreift eine Gesellschaft ihre Kunst, welche Funktion nimmt sie ein, wer vereinnahmt die Kunst wofür etc. Wer sich als Künstler in die Gesellschaft stellt, ist in gewisser Hinsicht auch politisch wirksam, kann ein Korrektiv zu ihr sein, kann mittels des Freiheitspotentials von Kunst auch subversiv wirken. Es gibt sicher wieder mehr politische Musik als noch vor ein paar Jahren, aber leider auch viel konservatives Allerlei – was ja auch ein Spiegel der Gesellschaft ist…

W: Wird es eine nächste Runde des MachtMusik-Festivals geben?

H: Ja, vom 13.-16.September 2007. »MACHMUSIK« - Festival für religiöse Musikkultur.

W: Wollt ihr die Diskussionen zu dem Thema Politik und Musik weiterführen?

H: Wir verstehen uns als Plattform für gesellschaftskritischen Diskurs, greifen aber immer wieder neue Themen auf, von denen wir der Meinung sind, dass sie behandelt werden müssten – auch um selbst nicht träge zu werden. Beim nächsten Thema »Religion«, werden wir um die Politik sicher keinen Bogen machen.

W: Wie seit ihr/du auf die Idee zu MachtMusik gekommen?

H: Die Idee, »Politik« zum Thema zu machen, gab es schon eine Weile. Man muss wissen, dass wir selbst ja alle mehr oder minder auch als Künstler tätig sind und wir machen auch gar keinen Hehl daraus, dass es auch unsere eigenen Themen sind, die eine Rolle spielen. Es gibt einfach zu viele Projekte, die einen rein intellektuellen Diskurs pflegen, sich immer wieder selbst bespiegeln und von Leuten gemacht sind, die nicht wirklich substantiell verwurzelt sind in den Fragestellungen der Jetzt-Zeit.

W: Wie konntet ihr so viele „in Amt und Würden stehende“ prominte Unterstützer gewinnen? (Leipzigs OBM, Kulturstiftung des Bundes/Landes, die Stadt Leipzig, Sparkasse, MDR etc.)

H: Wir scheuen uns nicht vor klassischer Lobbyarbeit und auch nicht vorm äußeren Schein, dem solche Projekte genügen müssen, wollen sie an die Öffentlichkeit, ein paar Leute erreichen und Diskurs auslösen: Das ist die Verpackung! Das andere - das viel wichtigere - sind die Inhalte. Da wird es nie Kompromisse geben und da haben wir auch noch nie einen Hehl aus unserer Unabhängigkeit gemacht. Deswegen wissen die Förderer auch, was sie erwartet. Es gibt aber Grenzen: z.B. wäre unser Projekt für unabhängiges Denken gescheitert, wenn in unseren Programmheften das DGB-Logo oder der Schriftzug vom Freitag prangen würde. Da würden wir uns dann alle einfach viel zu wohl fühlen…

W: Ist es ein Widerspruch mit Hilfe solcher Förderer, die auch selbst Politik betreiben, über Politik nachzudenken und politische Strömungen zu Wort kommen zu lassen die diesen evtl. konträr gegenüberstehen?

H: Man muss schon wissen, wie man den Feind auch mit den eigenen Waffen schlägt (siehe Frage vorher). Man muss aber auch wissen, wo der Feind sitzt.
Das ist ein leider inzwischen zutiefst verwurzeltes Dilemma der grollenden Linken, dass immer wieder an alten Mustern der »Feindbewertung« festgehalten wird, ohne nach Wegen zu suchen, die vielleicht etwas Überraschung bieten und einen zwingen, das warme Bett des politischen »Eingerichtetseins« zu verlassen. Und das sagt jemand, der sich garantiert links von der Mitte verortet…

W: Wertet ihr das MachtMusik-Festival generell als Erfolg?

H: Es ist ein Erfolg, wenn Menschen über wichtige Dinge diskutieren, die ihnen vorher unwichtig erschienen. In sofern ist es vielleicht ein Anfang und wir haben uns wirklich sehr gefreut, dass viele durchaus dankbar waren, dass sich jemand des Themas annimmt. »Erfolg« drückt sich ja heute immer in Zahlen und materiellen Werten aus, in sofern ist mir das Wort ein bisschen suspekt.

W: In eurem Prospekt fragt ihr: „Gelten die links/rechts-Beschreibungen der Vergangenheit noch oder greifen sie wieder nach der großen Party?“, siehst du ein wiedererstarken politisch motivierter Musik?

H: Ja, ich glaube dass man das schon sagen kann, wenngleich man sich davor hüten muss, in die Kategorien politischer Musik zu flüchten, wie sie in den 70er und 80er-Jahren galten. Das schmeckt sicher so manchem Protagonisten der Politmusik-Szene nicht, ist aber wohl eine Tatsache, die man zur Kenntnis zu nehmen hat.

W: Zählt für dich auch rechtspolitische Musik dazu? Und wenn ja, stand es zur Debatte auch rechtsgerichtete Musik mit einzubeziehen und z.B. zum Wettbewerb zu stellen?

H: Ja, wir hatten z.B. überlegt »Death in June« zusammen mit einem linken Künstler auf die Bühne zu stellen. Ersterer tritt aber nicht mehr auf und alle in Frage kommenden Künstler die als Pendant geeignet gewesen wären, haben sich wenig erfreut über die Idee geäußert. Wir hatten schon die Idee des offenen Diskurses, da wir überzeugt sind, dass es nichts bringt, bestimmte und zumeist recht nebulöse Meinungen auch noch in ihrem Nischendasein zu bestärken. Die Dinge disqualifizieren sich ja erfahrungsgemäß im Licht einer anderen Öffentlichkeit. Auch beim Wettbewerb gab es einige latent oder offensichtlich rechte Positionen. Die waren aber künstlerisch einfach zu schlecht – sonst wäre es beim Wettbewerb sicher noch munterer zugegangen…

W: Ich persönlich fand die von mir besuchten Veranstaltungen (z.B. FEHLFARBEN, Abschlussveranstaltung) nicht sehr gut besucht, wie könnt ihr euch das erklären?

H: Dass bei »FEHLFARBEN« nur 80 Leute waren und bei Dritte Wahl und Skeptikern 800, sagt ja auch etwas über die Lebendigkeit bestimmter Szenen aus. Ich persönlich fand, dass alleine die sarkastischen und zynischen Kommentare von Peter Hein Beleg genug dafür waren, wie weit man eine Idee verkaufen kann und wie traurig man aussieht, wenn es die Leute schon lange gemerkt haben…
In Bezug auf die Abschlussveranstaltung muss man vielleicht sagen, dass auch wir uns mehr Besucher gewünscht hätten. Aber im Gegensatz zu Anderen, können wir auch ganz gut mit einem Bildungsauftrag leben, der auch manchmal nur 150 Leute erreicht. Und auch für uns sind solche Projekte Lernprozesse.

W: Hättet ihr euch noch andere Künstler oder Redner zur Festivalteilnahme gewünscht?

H: Natürlich einige, z.B.: Goldenen Zitronen (Terminschwierigkeiten), Blumfeld (Absage, weil 14 Tage vorher bei 15 Jahre Conne Island), Früchte des Zorns (im Studio), Kleingeldprinzessin (Wettbewerbsfinalistin, Absage aus Termingründen), Hans Söllner (Vater geworden).
Aber auch andere Künstlerinnnen und Künstler die abgesagt haben, nachdem sie erfahren haben worum es geht, haben ja damit ein Statement abgegeben….

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Titel: »Die Verschreckung hat ausgedient.« Was die Klassik-Szene vom Pop lernen kann: Thomas Christoph Heyde über das Festival MachtMusik
Publikation: LVZ

MachtMusik”, elf Tage mit Musik, die sich einmischt, bunt und schrankenlos zwischen U und E, neu und ganz neu. Erdacht und verwirklicht hat das Festival Thomas Christoph Heyde für sein Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig. Peter Korfmacher hat mit dem Komponisten gesprochen.

LVZ: Für die “MachtMusik” arbeiten Sie erstmals mit U-Musikern zusammen. Ist das anders?

Heyde: Ganz anders. Die sind professioneller, arbeiten mit Agenturen und man muss nicht hinter ihnen herlaufen, wenn man Informationen braucht. Die Klassik-Szene kann viel lernen von der Pop-Branche. Andererseits ist es offensichtlich für eine Pop- oder Rockband schwerer, sich auf ein Festival mit inhaltlichem Profil einzulassen. Eine Band wie Fehlfarben kann bei uns nicht ihr normales Programm abspulen. Wir haben eine klare politische Positionierung. U-Musiker werden ganz unruhig, wenn sie sich in einen Diskurs einbringen sollen.

LVZ: Fehlfarben sind politisch und kommerziell erfolgreich. Geht das?

H: Nicht so leicht. Darum haben auch Fehlfarben von sich eine andere Einschätzung als die Szene. Die sehen sich noch immer tief im Punk, während sie beim harten Kern unten durch sind, weil sie einen Vertrag bei einem Major-Label unterschrieben haben. Die Wahrheit liegt wohl wie immer in der Mitte.

LVZ: Aber wenn es einem Musiker um politische Inhalte geht, darum, etwas zu bewegen, ist es doch nötig, dass er möglichst viele erreicht?

H: So einfach ist es nicht. Auch im Pop-Geschäft greifen Macht-Mechanismen, die sich mindestens so stark auswirken in der Hoch- wie in der Subkultur. Auch das ist Politik und Musik.

LVZ: Kann umgekehrt Avantgarde überhaupt politisch wirken?

H: Das ist eine sehr grundsätzliche Frage. Für Komponisten wie Helmut Lachenmann ist ja schon der Gestus einer Musik, die angenehmes Hinhören nicht zulässt, eine politische Stellungsnahme. Ich halte das für überlebt, tot. Die Verschreckung hat ausgedient.

LVZ: Und was kommt danach?

H: Vielleicht eine neue Schönheit. Vielleicht ist es wie in der Leipziger Malerei: Da hat eine ästhetisch gleichsam neosozialistische Kunst ein großes Publikum gewonnen. Die Musik hinkt hinterher - aber hat einen Generationswechsel erlebt. Viele junge Komponisten können mit dem Begriff “Neue Musik” nichts anfangen und halten die Trennung zwischen U und E für willkürlich.

LVZ: Wo treffen sich beide Lager?

H: Die Schnittmenge ist das Experimentelle. Im Club-Kontext lebt eine hochkreative Szene jenseits subventionierter Kultur Spielräume aus und öffnet andersherum auch der experimentellen Avantgarde eine Chance. Vieles, was die elektronische Musik-Avantgarde in Jahrzehnten entwickelt hat, findet sich dort ganz selbstverständlich wieder. Da gibt es ein unvoreingenommenes Publikum, das mit den Klischees vom Feiern und Chillen wenig zu tun hat.

LVZ: Hat politische Musik je geholfen, Musik je politisch gewirkt?

H: Das kommt darauf an, was man unter Wirken und Helfen versteht. In guter Musik geht es immer um Bewusstseinserweiterung. Insofern ist beispielsweise die Musik Ludwig van Beethovens politisch bis umstürzlerisch, weil der ästhetische Gestus revolutionär ist.

LVZ: Woran messen Sie den Erfolg eines Festivals, das sich mit politischer Musik befasst? An der Quote?

H: Als ich angefangen habe, Veranstaltungen zu machen, waren zehn Leute im Saal, jetzt sind es bei E-Musik 100 bis 200 und meist sehr junge. Das ist schön, aber nicht entscheidend. Den Erfolg muss man am Diskurs festmachen: Wenn keine inhaltliche Diskussion stattfindet, wenn alle alles toll finden, muss man misstrauisch werden.

LVZ: Politik hat immer auch mit Geld zu tun. Wie ist das bei MachtMusik?

H: Die Kulturstiftung des Bundes trägt 75 Prozent, das sind 52 000 Euro, der Freistaat gibt 15 Prozent und die Stadt Leipzig gibt der einzigen überregional bedeutsamen Veranstaltung Neuer Musik neben Steffen Schleiermachers Festival, 4000 Euro, 500 weniger als vergangenes Jahr. Leipzig gibt für Neue Musik im Jahr keine 10 000 Euro aus. Selbst kleine Städte kommen auf deutlich mehr. Immerhin hat der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft für unser Festival übernommen.

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Titel: Die Musik geht baden
Publikation: LVZ

Der Komponist Thomas Christoph Heyde und das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig stehen für die etwas andere Avantgarde. Morgen Abend bietet er im Rahmen seiner neuen Konzertreihe zur “FreiZeitArbeit” ins Schreberbad, im Herbst beleuchtet die MachtMusik das Verhältnis von Musik und Religion. Peter Korfmacher sprach mit dem 34-Jährigen.

LVZ: FreiZeitArbeit - klingt das nicht ein wenig überambitioniert?

Thomas Christoph Heyde: Warum? Es ist ein Konzept mit klarer Zielstellung.

LVZ: Nämlich?

H: Wie kann man künstlerisch-inhaltliche Gedanken besser an die Leute bringen?

LVZ: Und - wie kann man?

H: Die Kunst geht zu den Leuten und wartet nicht, bis die zu ihr kommen. Die grundsätzliche Frage war also: Wo halten die Leute sich in ihrer Freizeit auf.

LVZ: Morgen halten sie sich im Freibad auf - wo sonst?

H: Das nächste Konzert ist ein Picknick, das dritte besetzt die Grauzone zwischen Freizeit und Arbeit: die Straßenbahn.

LVZ: Reagieren Sie inhaltlich auf die ungewöhnlichen Konzertorte?

H: Natürlich: Beim Badekonzert morgen gibt’s Händels Wassermusik.

LVZ: Ein bisschen billig - oder?

H: Wäre es, beließen wir es dabei. Aber wir sind es unserem Ruf schuldig, immer noch einen drauf zu setzen. Also gibt es zur Wassermusik-Bearbeitung für Blechbläser ein Wasserballett mit den Synchronschwimmerinnen der DHfK.

LVZ: Klingt absurd.

H: Ja, das hat was von absurdem Theater. In die gleiche Kerbe stößt Mike Svoboda, der die Musik-Comedy-Seite seiner Arbeit zeigt: “Hommage á Badesaison” für Südseemuschel und Wasser und weitere Auszüge aus dem Programm “Alphorn Therapy”. Dazu präsentieren wir Cello-begleitete Walgesänge von Wittwulf Y Malik, das Sonic Rodeo DJ-Team und DJ CFM.

LVZ: Kann das Publikum mittanzen?

H: Klar. Es kann auch mitschwimmen.

LVZ: Der Aufwand ist erheblich - wie finanzieren Sie die FreiZeitArbeit?

H: Im Schreberbad unterstützen uns die Wasserwerke und die Sportbäder Leipzig, fürs Straßenbahnkonzert helfen uns die LVB, Pilsner Urquell ist im Boot, der Deutsche Musikrat, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

LVZ: Das Kulturamt nicht?

H: Nein. Darum ist es so wichtig, zu zeigen, dass es auch möglich ist, anderswo Mittel aufzutreiben. Die Rechnung “Zeitgenössische Musik hat keine Förderer, weil sie keine Öffentlichkeit hat”, geht so nicht auf. Es ist nur eine Frage der Vermittlung.

LVZ: Die FreiZeitMusik ist die lockere Schiene des Forums. Im September steht dann wieder Ihr Herbstfestival an. Da ist die Stadt doch sicher mit im Boot?

H: Wie man’s nimmt: Das Kulturamt gibt 4000 Euro. Das hilft nicht wirklich. Der Etat beläuft sich auf rund 60.000 Euro.

LVZ: Was soll die Stadt tun? Sie hat nicht mehr Geld.

H: Gewichten.

LVZ: Das sagen alle. Warum sollte sie so gewichten, dass Sie mehr bekommen und andere weniger?

H: Weil andere sich unter anderem nicht so wie wir um andere Mittel kümmern. Wenn ich sehe, wie viel städtisches Geld in soziokulturellen Projekten verschwindet und wie viele Mittel von Land, Bund und EU nicht abgerufen werden, regt mich das auf. Es gibt Wege, Töpfe, Mittel - auch das wollen wir zeigen.

LVZ: Das Herbstfestival MachtMusik ist ernster. Aber auch hier gehört die Vermischung der Genres zum Konzept. Wie sind bisher Ihre Erfahrungen damit?

H: Exzellent. Auch hier geht es darum, ein Projekt zu entwickeln, das nachhaltige inhaltliche Arbeit ermöglicht. Auch da stellt sich die Frage: Wie kann man Inhalte am besten vermitteln? Und der Ansatz der Vermengung von U und E spricht ein breites Publikum an.

LVZ: Wie geht es thematisch weiter?

In diesem Jahr nehmen wir uns Religion vor, 2008 Sport, 2009 Erotik.

LVZ: Religion und U-Musik - das klingt beängstigend nach Neuen GeiLies, Neuen Geistlichen Liedern.

H: Es gibt viel geschmäcklerische Betrachtung von Religion auf Seiten der Popmusik, vieles ist ausgesprochen platt. Aber es gibt auch interessante, querständige Beschäftigungen mit dem Thema quer durch die Szene - etwa im Metal: Die einen sind dagegen, die anderen sind explizit dafür. Ähnlich ist es im GothikBereich. “Das Ich” beispielsweise ist eine der ältesten deutschen Gothik-Bands und hat sich schon immer mit religiösen und antireligiösen Inhalten auseinandergesetzt. Durchaus auf eine Weise, dass man sich auf den Schlips getreten fühlen kann. Dazu werden wir einen Welt-Musik-Abend anbieten, einen klingenden Kultur-Clash: Klezmer, schamanische Musik, einen Sufi-Sänger und Soundsystem mit tanzbarer osteuropäischer religiöser Musik.

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Titel: Interview zur neuen MDR-Konzertreihe, Sende(r)musik für alle Kanäle! “Spartendenken ist obsolet geworden.”
Publikation: MDR, MDR-online

MDR: Herr Heyde, Sie haben die neue Reihe für zeitgenössische Musik, die Sende(r)musik, konzipiert. Der erste Konzertabend am 19. November trägt den Titel “Medienmusik”. Wie muss man sich das vorstellen, sitzen da Menschen an ihren Rechnern und sorgen für ein Spektakel aus Musik und Bildern?

Heyde: Ein opulentes Spektakel wird es nun nicht. Im Prinzip geht es darum, alle Sinne, alle Wahrnehmungskanäle anzusprechen. Wir arbeiten mit Licht und Video, Musik, Klanginstallationen und szenischen Elementen. Tatsächlich ist das Projekt sehr aufwändig. Alleine für das Stück von Luigi Nono “Für Tuba und Liveelektronik” musste ich mit einem Musiker, einem Tubisten und einem Techniker lange vorher im Studio an der akustischen Umsetzung arbeiten, denn Nono hat für die Realisierung keinerlei Vorgaben gemacht. Die Vorarbeiten für die ganze Reihe dauerten ein Jahr. Zunächst erleben die Besucher einen ersten, kompakten Abend mit einem Programm von etwa anderthalb Stunden - mit Pause -, der aber nicht überfordert, würde ich sagen.

MDR: Vielleicht doch. Schließlich werden Sie beim letzten Stück des Abends der Intention des Komponisten Gerhard Stäbler folgen, auch den Geruchssinn zu beanspruchen. Was ist das für ein Stück?

H: Gerhard Stäbler hat “Die Nacht sitzt am Tisch” zunächst mal für zwei Klarinetten und eine Sprecherin geschrieben. Diese Sprecherin bewegt sich durch den Raum und zitiert dabei zur Musik einen portugiesischen Text, der sehr kraftvoll, vital, fast schon brachial ist. Insgesamt fordert das Stück eine szenische Umsetzung. Zum Einsatz kommen außerdem verschiedenste Utensilien, etwa Eimer, die mit Kieselsteinen gefüllt sind, in denen wird relativ häufig “rumgerührt”. Diese Geräusche werden verstärkt und fließen in das Klangerlebnis ein.
Ja, und auch der Geruchssinn wird angesprochen. Denn im Saal werden nach und nach Müllsäcke geöffnet. Der Komponist schreibt vor, dass es im ganzen Saal sehr unangenehm riechen soll, erst im Laufe des Stückes verändert sich der etwas strenge Geruch hin zu einem sehr angenehmen, exotischen Duft. Das ist natürlich gar nicht so einfach, sozusagen eine sensible Geschichte. Es gab auch Bedenken, das Stück zu machen. Aber jetzt steht es ja am Schluss, damit notfalls alle ganz schnell flüchten können. (Lacht)

MDR: Bieten Sie auch was fürs Auge? Die Huber-Komposition “Eröffnung und Zertrümmerung” sieht ja eine Videoprojektion vor. Hat der Komponist da schon festgelegt, was zu sehen sein soll, oder durften Sie das erfinden?

H: Man kann es tatsächlich selbst erfinden. Ganze 22 Minuten Video müssen für das Stück produziert werden. Zugrunde liegt ein kleines dreistrophiges Hölderlin-Gedicht. Die Komposition gibt nur Anweisungen für die Zeitabschnitte, in denen das Video eingespielt wird, das quasi den Text und die Musik “re-interpretiert”, ohne sie bloß zu untermalen.
Allerdings gibt Huber noch vor, am Ende des Stückes sollten Bilder von Demonstrationen, von politischen Aktionen gezeigt werden. Denn da werden die Musiker einen Kassettenrecorder einschalten und dann erklingt Kakophonie aus Volksmusik und eher völkischen Liedern.

MDR: Gibt es einen roten Faden, der sich durch die ersten vier Konzerte der Sende(r)musik zieht?

H: Aufgabe so einer Reihe für eine große Rundfunkanstalt ist es, zu zeigen wie groß das Spektrum zeitgenössischer Musik eigentlich ist - und das ist heute immens breit! Das reicht von Komponisten, die fast noch klassisch komponieren, bis zu vorzugsweise jungen Leuten, auf deren Werke der Begriff Komposition nicht mehr richtig passt, weil deren Werke eben schon in andere Medien hineinreichen.
Ich habe also versucht, dieses Feld abzustecken. So werden im zweiten Konzert am 28. Januar die Preisträger des MDR-Kompositionswettbewerbes zu hören sein. Dieses Konzert wird die Vokalkomponente ins Programm bringen, denn der diesjährige Preisträger hat ein Stück für einen a-cappella-Chor geschrieben, dabei handelt es sich um einen dreißigfach geteilten Chor. Also nicht so einfach! Außerdem wollte ich unbedingt ein Gastensemble im Programm haben, das Musik aus anderen Ländern mitbringt. Die Wirkung außereuropäischer Einflüsse soll in der “Fernenmusik”, dem dritten Teil der Reihe am 25. März 2003 zu hören sein. Dazu kommen das Gitarrenduo Stefan Conradi und Bernd Gehlen, die klassisch spielen, aber auch mit E-Bass, Elektronik und diversen akustischen Klangerzeugern arbeiten. Sie werden dabei auch das Stück “Figuren II für zwei E-Gitarren” der in Deutschland lebenden Rumänin Violeta Dinescu uraufführen, die dazu nach Leipzig kommen wird.

MDR: In der “Medienmusik” am 19. November wird auch ein Stück von Ihnen aufgeführt. Wo würden Sie sich eigentlich im Spektrum der zeitgenössischen Musik einordnen?

H: Ja, in der “Medienmusik” ist eine ältere Komposition von mir zu hören - “Umgang - Aufstieg - Abgang” -, weil ein Teil meiner Musik eben auch für “Medienmusik” steht.
In letzter Zeit habe ich mich vorzugsweise mit elektronischer Musik beschäftigt. Das heißt eben, mit Computern zu arbeiten, mit Tonband, auch mit Video. Das fällt wahrscheinlich so aus dem Rahmen, dass man sehr schnell mit dem Label “Komponist für elektronische Musik” belegt ist, wobei ich auch ganz andere Sachen mache. Ich denke, dass die Situation heute sehr aufgebrochen ist. Denken Sie nur an die Vielzahl von bildenden Künstlern, die Klanginstallationen machen. Dennoch herrscht immer noch so ein Spartendenken …

MDR: Wenn von der musikalischen Komposition ausgehend verschiedene Medien in die Aufführung integriert werden sollen, gibt es dann eigentlich ein Strukturprinzip, etwa den Rhythmus, das alles zusammenführt?

H: Ich denke, es finden sich viele Verbindungslinien, wobei ich glaube, dass sich die ursprüngliche Idee von Multimedia oder Gesamtkunstwert à la Wagner selbst ad absurdum geführt hat. Jedes Medium hat seine eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wenn Sie sich eine Website anschauen, wird klar, dass das Internet immer auch ein zweites Medium, den Text beipielsweise, transportiert. Jedes Medium hat eine Art Subtext, der prädestiniert ist, etwas Bestimmtes auszudrücken. Und so kann Multimedia eben nicht heißen, Inhalte 1:1 in jedes Medium zu transportieren!

MDR: Sie haben ein Stück von Luigi Nono im “Medienmusik”-Programm, der ja auch als politischer Komponist gilt. Das erste Konzert bestreiten mit Stäbeler und Huber zwei seiner Schüler. Wie wichtig sind Ihnen neben dem Experimentieren mit den formalen Möglichkeiten die Inhalte?

H: Obwohl ich es sehr schwierig finde, zu sagen, wir legen jetzt mit den Konzerten einen bestimmten Inhalt frei, der über das Schlagwort “Medien” hinausgeht, gibt es trotzdem einen roten Faden, den ich durchaus als politischen bezeichnen würde. Und zwar deshalb, weil die Kompositionen aus bestimmten historischen oder politischen Situationen erwachsen sind. Nehmen Sie Nono. Das Stück, das wir aufführen, “Post prae-ludium n.1 per Donau(eschingen)”, bezieht sich auf ein großes Festival zeitgenössischer Musik. Es scheint völlig unpolitisch zu sein, aber man weiß gar nicht, ob im Stück, das völlig leise ist, ganz introvertiert und eher untypisch, ob da nicht eine Doppeldeutigkeit drinliegt. Huber und Stäbler, die beide sehr offen mit anderen Einflüssen auf ihre Kompositionen umgehen, schreiben völlig unterschiedliche Musik. Zusammengeführt habe ich die beiden unter dem Aspekt, dass ihre Werke eine bestimmte Art von Leben in der Gesellschaft beleuchten.
Bei der vierten Komponistin des Abends, bei Myriam Marbe, spielt die biografische Situation immer auch eine Rolle für ihre Musik. Sie hat in Rumänien unter ganz furchtbaren Umständen gelebt und komponiert, und ihre Musik nimmt immer auch Stellung zu dieser Situation. Dabei geht es natürlich nicht um ideologische Positionen, das wäre eine Einengung, die den Kompositionen nicht gerecht würde.

MDR: Sie haben selber auch klassische Komposition studiert, verstehen Sie sich heute noch als Komponist oder als Medienkünstler? Oder würden Sie Ihrer Arbeit lieber einen ganz neuen Namen geben?

H: Ich arbeite mit Medienkünstlern und erlebe, wie sie an Musik rangehen. Sie haben eine völlig andere Perspektive, sie begreifen die Musik, aber auch die Kunst oftmals aus phänomenologischer oder pädagogischer Sicht. Das heißt, sie bleiben sehr theoretisch. Das kenne ich auch aus meinen eigenen Studienzeiten. Man bezieht sich in der Praxis auf eine Historie - hier in Leipzig beispielsweise auf Bach. Aber heutzutage ist dieser Ansatz vielleicht schon etwas verfehlt, weil er vieles auslässt, was heute passiert! Ich bin zwar auch traditionsbewusst, aber ich denke, man tut der Musik nichts Gutes, wenn man nicht fragt: “Wie ist heute Musik zu begreifen?”
Das Problem besteht eher darin, dass Versuche, heute noch in Sparten zu denken, scheitern müssen. Denn die haben sich im klassischen Sinne aufgelöst, auch wenn viele Komponisten natürlich immer noch traditionell Musik für Ensemble und für Soloinstrument schreiben. Guckt man jedoch genau hin, findet man diese Stücke oftmals räumlich aufgebrochen, mit Elektronik “versetzt” und an Orten aufgeführt, wo sonst die klassische Musik nicht zu Hause ist. Da ist vieles im Fluss, und das finde ich unglaublich spannend! Andere finden das bedrohlich oder dekadent. Aber im Grunde ist man dazu aufgerufen, sich seine eigene Meinung erst zu bilden und nicht schon vorher zu kategorisieren. Die Sende(r)musik-Reihe ist ein Versuch, das zu erreichen.

MDR: Sie sind in Leipzig auch bekannt, weil Sie viele Konzerte zeitgenössischer Musik veranstalten. Sitzt da vor allem eine Schar interessierter und technisch versierter Musik-Studenten?

H: Erstaunlicherweise setzt sich mein Stammpublikum eher aus Nicht-Musikstudenten zusammen. Es kommen viele Leute aus anderen Bereichen der Kunst. Oder es sind einfach Interessierte, vor allem junge Leute, und das ist auch ein Beleg dafür, dass da ein neuer Weg auftaucht.
Ich will nicht verhehlen, dass es gerade für so eine Institution wie die Rundfunkanstalt nicht unproblematisch ist, zeitgenössische Musik zu machen, denn die Vorurteile lauten ja: “klingt schief”, “ist anstrengend”, “man ist froh, wenn man dann wieder aus dem Konzertsaal raus ist”. Da müssen eben auch unkonventionelle Wege gegangen werden, um so eine Konzertreihe an die Öffentlichkeit zu bringen. Da muss man das Publikum auch an die Hand nehmen. Das ist was anderes als ein Beethoven-Konzert. Andererseits möchte man ja auch ein neues Publikum, ein junges Publikum, in den Konzertsaal holen!

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