»Apparitionen« ist ein Zyklus von Stücken, in denen das jeweilige Solo-Instrument mit einem anderen Medium (Licht, Mehrkanal-Tape, Live-Elektronik und Video) in Zusammenhang gestellt wird.

»Wellen vom Untergrund« ist die Nummer 6 dieses Zyklus und der Titel bezieht sich zum einen auf die Wellen, die bei einer körperlichen »Betätigung« der ganz besonderen Art entstehen (insofern ist dieses Stück ein »erotisches«) und zum anderen auf extrem tiefe Frequenzen, die durch den Subwoofer (Tiefsttonlautsprecher) wiedergegeben werden.

Mich beschäftigten hierbei vor allem jene Frequenzen, die weit unter der Hörschwelle liegen – leider(!) aber durch kaum einen handelsüblichen Subwoofer wiedergegeben werden können – und sozusagen rein »körperlich« als Druckwelle wirken. Mein Interesse an diesen „unhörbaren Tönen“ wurde durch technische Experimente geweckt, die sowohl mit extrem tiefen als auch sehr hohen Frequenzen gemacht wurden (übrigens schnell auch die Militärtechniker auf den Plan riefen…) und zu teilweise sehr verblüffenden Ergebnissen führten – im physiologisch-medizinischen Sinne.

Thomas Chr. Heyde

“vor mir entlang” für vier Blockflötenspieler trägt - ebenso wie meine in zeitlicher Nachbarschaft realisierte, multimedial-theatralische Komposition “Apparitionen IV” - Züge eines musikalisch-dramaturgischen Denkens, das die Kompositionsverfahren von vor mir entlang mit geprägt hat. Dies heißt jedoch nicht, dass der Komposition ein Programm, eine textliche Vorlage oder ein Anlass immanent wäre. Dramaturgie meint hier die Verwendung von Aspekten des Dramatischen, also etwa Spannungsverläufe, Brüche und Querverweise.

Der auf Existentielles zielende Gehalt der Komposition wird durch die hier angewandten Kompositionsverfahren derart herausgestellt, dass z.B. aus einem Blasinstrument ein Schlaginstrument wird, indem praktische jeder ton durch eine Spieltechnik “eingefärbt” wird.

Zu greifen ist eben wenig, zu fassen für mich gleichwohl viel, wenn auch nur mit großer Anstrengung. Dies ist jedoch ungleich mehr, als die scheinbar sichere Position einer sich immer wiederholenden Selbstbestätigung, sondern - etwas, das “vor mir entlang…”

Thomas Chr. Heyde

Nein, Beschreibung von genau genommen imaginären Vorgängen - sei es als ein “sich er- oder verklären”, sei es im Sinne einer Übersetzung - ist und bleibt fragwürdig; und die nachgerade inflationär zu konstatierende Beschreibungswut wird auch nicht sinnfälliger in ihrer tausendfach proklamierten in Fragestellung bzw. in ihrer erklärten Verweigerung innerhalb von bestimmten Zusammenhängen: Bleibt doch die beschreibende Verweigerung Vollzug. Ohne dass dem der Sache zu Grunde liegenden infantilen Spieltrieb das kreative Potential abgesprochen werden soll, so plappert sich doch manche Marionette eines Zeitgeistes gelegentlich der Sprachlosigkeit entgegen und blumige Phrasendrescherei umschreibt die eigene Verklemmung. Doch Schweigen? Heute, jetzt?

Nein! Gemeint ist natürlich die Verhältnismäßigkeit, so es diese zwischen dem kommentierendem Wort und dem relativ hermetischen Ton grundsätzlich überhaupt gibt.
Und hier?

…rufen? nein, wollen!…

Es geht möglicherweise, vielleicht aber auch ziemlich sicher um rufen, um wollen im existentiellen Wortsinn. Die Sprache, die Gesten der Musik zögern und tasten sich fragmentarisiert vorwärts: Das Wollen gibt der Musik die Impulse ihres Rufens, ihres Auf-, An- und Zurufens. Der Wille zum Ruf, der auch manchmal Schrei ist, bricht sich im Raum. Die Ideenfragmente nutzen die Brechungen an der Reflektionsfläche des geometrischen Raumes und - dies besonders - des imaginären Innenraumes.

Doch für letzteres ist vor allem eines nötig: Zeit.

So geht die Musik lange ihre eigenen Wege, widersetzt sich einer Lenkung, verläßt ihre Pfade und geht Irrwege, bevor sie nach und nach ihren (meinen) Rufen folgt.

Willentlich!

Thomas Chr. Heyde

Eilig, ruhelos, zwiespältig und sicher auch nachdenklich - “Piano[s]-Chat” für Midiflügel,
Computer und Liveelektronik hat die virtuelle Geschwindigkeit und Oberflächlichkeit der Kommunikation in virtuellen Räumen, sowie auch die damit verbundenen Chancen zum Thema. Wie viele andere Begriffe, die ihren Ursprung in den so genannten “Neuen Medien” haben, so ist auch Chat zu einem viel gebrauchten Zauberwort avanciert. Doch was verbirgt sich hinter dem Wort, außer eine virtuelle Oberfläche für Schwätzer, die, in beliebiger Maskierung, mehr oder weniger thematisch gebunden, sich äußern und entäußern (die Lust der Anonymität zeugt Voyeure).

Wo ist Verantwortung, wo sind sinnvolle Inhalte. Das Ganze nur ein unverbindliches
Durcheinander? Die Musik ist der Versuch einer Annäherung an das Thema. Dass hier etwas zusammenkommt ist allerdings fraglich, denn es war nicht Ziel der Komposition den Sachverhalt 1:1 abzubilden; “Piano[s]-Chat”, (Plauderei oder Geschwätz der Klavier[e]) ist “nur” eine persönliche Sichtung einer unerschöpflichen Thematik.

Thomas Chr. Heyde

Der Titel »Konfetti-Parade mit Hardcore-Romantik« stammt von der Betreffszeile einer Werbemail. Ich fand ihn in seiner ausgesprochenen Plattheit passend für das Thema des Stücks, wo es um das Verhältnis »Mensch-Material/Material-Mensch« und die emotionale Verschönerung des Lebens durch höchst zweifelhafte Mittel geht. Es geht um die Grenze zwischen legaler Ausreizung von Werbemitteln zu bestimmten Zwecken und dem, was latent an »Grenzwertigkeit« in der Gesellschaft ist oder bewusst produziert bzw. als Folge in Kauf genommen wird.

Das »Laufen«, das auch »Weglaufen« und ein »sich verlaufen« anonymer Personen im Video ist, es ist zugleich Symbol der durch die Geschwindigkeit und die »jung-schön-unschuldig-Strategie« einer Werbeindustrie degenerierten Wahrnehmung…
…und gleichzeitig ein Abschreiten der eigenen (traurig-schönen) Erlebniswelt.

Thomas Chr. Heyde

Werktitel: »Ich-ein Fremder« (für Stimme, Kammerorchester, 7.1-Surround-Tape, Liveelektronik und Licht)

Ich – ein Fremder ist eine Komposition/Installation, hinter der sich ein ganzer Komplex von Texten, Gedanken, Bilder verbirgt. Doch so vielschichtig die Assoziation, Bilder und Klänge wirken, immer kreisen sie um die Grundgedanken von Ferne und Nähe, die im Schaffen von Thomas Heyde zentral sind. Hierzu schreibt er: »Und der, der in einer kalten Bahnhofshalle plötzlich meinte, ein >zu Hause< zu spüren, ohne sagen zu können warum; und der, der wo viele meinten: hier ist >zu Hause< [...], eben dieses nicht empfand, der kann die Entdeckungsreise vielleicht verstehen oder erahnen, die ich gemacht habe[...]«. Gerade in der Abstraktion von Musik findet Heyde die Möglichkeit, diesen Gedanken vielschichtig und mehrdeutig nachzuspüren; die konkreteren Bild- und Textelemente ergänzen diese abstrakte Ebene zu einem Gesamten, in dem sich die einzelnen Bereiche gegenseitig durchdringen. Andererseits werden die zugrunde liegenden Texte fragmentiert, aus Sprache wird Klang und auch die Instrumentalklänge werden schließlich elektronisch verarbeitet und verfremdet.

(M. Demuth)

Textgrundlage:

Das Herbst, das Damals
FrostLaub
unter den Knien
Wissendes Brüllen! und
Die Milch einer Mutter
Rechtloses am Ohr
Rufts?
Sie schneidet leise sich mir…
Reich war ich
Voll Rufen WIR!

(Thomas C. Heyde, Luxor 2001)

Der halbe Mond ist eine Wiege
wer schaukelt sie hin?
Und das Kindlein im halben Monde,
wo träumt es nur hin?

Der halbe Mond ist eine Wiege,
wer schaukelt sie an?
Und das Kindlein im halben Monde,
für wen wächst es heran?

Der halbe Mond ist eine Wiege,
der Neumond kommt schon.
Und das Kindlein im halben Monde,
wer trägt es davon?

(Miguel de Unamundo, Paris 1930)

Anmerkungen:

Die Uraufführung von Ich-ein Fremder war mit einigen Schwierigkeiten verbunden, was mit dem hohen technischen Aufwand bei der Umsetzung von Installation und Komposition zu tun hat. Einiges Aufsehen erregte allerdings auch ein dpa-Korrespondent, der bei der Pressekonferenz anfragte, ob es den Tatsachen entspräche, dass während der Aufführung indizierte Rauschmittel versprüht werden sollten? (Man muss hierzu wissen, dass es Teil der Aufführung ist, »rauschhafte Düfte« im Saal zu versprühen.) Die etwas irritierten Veranstalter wendeten sich daraufhin an mich, wobei ich sie mit den Worten beruhigen konnte, dass keines der verwendeten Substanzen auf dem Index steht.

[…] etwas empört waren allerdings einige Besucher ob der Tatsache, dass Teil der Installation in Aquarienbecken gelegte Schweineherzen waren, die von an der Decke hängenden und mit Schwarzlicht beleuchteten Infusionsbeuteln betropft wurden. Teil dieses »zeitgenössischen Ärgernisses« (wie ein Pressevertreter schrieb) war die von mir nicht vorhersehbare Tatsache, dass das Ganze in einer Kirche stattfinden würde. (T. C. Heyde)

Widmung

»…den Händen, die mich trugen…«

“High-Culture-Motherfuckers” for four drummers and percussion entstand im Auftrag des Leipziger Schlagzeugensembles für ein Jubiläumsskonzert des Ensembles, das vom Mitteldeutschen Rundfunk [MDR] ausgerichtet wird. Heyde, der selbst für den Mitteldeutschen Rundfunk arbeitet und [OT-Heyde: “vielleicht mit etwas zu jungem Publikum, etwas zu erfolgreich und im Ansatz etwas zu unkonventionell”] eine neue Reihe für Zeitgenössische Musik gestaltet, gab Ende Dezember den Titel seines Werkes dem Veranstalter bekannt. Dieser reagierte prompt und setzte den Komponisten darüber in Kenntniss, dass “der Titel des Werkes “HIGH CULTURE MOTHERFUCKERS” lauten soll” und er “nicht bereit [ist], unter diesen Umständen das Werk im Programm zu behalten.” Weder auf Plakaten, noch in anderen Veröffentlichungen war danach Heydes Name zu finden und dies obwohl er [nachdem er eine Erklärung abgegeben hatte: siehe “Auszug aus der Erklärung von Heyde” unten] sogar bereit war der Titel in High-Culture-M.F. bzw. High-Culture-Questionmark abzuändern. “Bis heute”, so Heyde, “bin ich - trotz einer Zusage aus zweiter Hand - nicht sicher, ob und unter welchem Titel das Stück gespielt werden ‘darf’. Vor allem, nachdem ich jetzt selbst massiv die Öffentlichkeitsarbeit für das Stück in die Hand genommen habe. Natürlich unter dem Originaltitel…”.

Auszug aus der Erklärung von Heyde:

…weise allerdings darauf hin, dass der Auftrag für dieses Stück vom Schlagzeugensemble kam und Künstler (das dürfte Ihnen bekannt sein) bei der Auswahl von Werktitel im allgemeinen Autonomie genießen. Ein Großteil der bedeutenden Werke der bildenden Kunst, die uns in den einschlägigen Museen erfreut, müssten abgehangen werden, wenn man so unreflektiert an Werktitel hergehen würde - von moderner Theaterliteratur gar nicht zu reden. Und in heutiger Zeit einen (zumal noch intellektuell chiffrierten) Werktitel zum Anlass einer Entscheidung darüber zu nehmen, ob ein Werk zur Aufführung kommt oder nicht, das jagt mir doch in gewisser Weise auch einen Schrecken ein. Aber ich denke, Sie haben da einfach eine völlig unrichtige Übersetzung zu Grunde gelegt, denn im Allgemeinen pflege ich bei allem Bruitismus doch eine recht dezidierte und intellektuell wohl überlegte Herangehensweise an Werktitel und Inhalte und da macht das Stück keine Ausnahme.

[…] Im Übrigen weise ich darauf hin, dass bitte die Trennung meiner Eigenschaft als freier Mitarbeiter des MDR (Sendermusik) und Thomas Chr. Heyde, Komponist, gewahrt bleibt. Ich kann mir - und das steht in Zusammenhang mit dieser Bitte - allerdings nicht vorstellen, dass Sie bei einem anderen zeitgenössischen Komponisten soweit gegangen wären, zu fordern, dass er seinen Stücktitel ändert. Wo kämen wir dann auch hin. Übrigens gibt es ja sicher auch ein Programmheft und da kann man ja auch für jene, die die Zusammenhänge nicht auf den ersten Blick erkennen, reinschreiben, wie der Titel gemeint ist und originär übersetzt wird in diesem Zusammenhang […]. Übrigens bin ich es auch langsam leid als ‘enfant terrible’ gehandhabt zu werden, denn dazu nehme ich meine Arbeit doch zu ernst, und ich kann derartigen Diskussionen außer einem gewissen intellektuell-sportiven Aspekt auch nichts abgewinnen.

Kommentar von Heyde nach Fertigstellung von “high-culture-motherfuckers”:

“tote Elite macht Brechreiz”

Ich habe mich manchmal gefragt: was erwarten SIE.
Manchmal habe ich mich auch gefragt: Warum interessiert es mich.
Meistens war ich am sichersten, wenn ich merkte, dass es nicht passte oder auch, wenn es zu sehr passte…

…ich bin sicher, dass high-culture-motherfuckers nicht passt. In den Konzertsaal nicht, in den Club nicht. Immer wenn das „shake hands“ der Anderen zu euphorisch war, habe ich mich nicht mehr gefragt, sondern meine ganze abgewichste Musikscheiße aus meinem Hirn gequetscht und IHNEN vor die Füße gekotzt. Natürlich fanden SIE auch dafür eine Schublade, aber ich arbeite hart daran, dass SIE keine mehr finden…. Ständig arbeite ich daran etwas zu bauen, und wenn ich etwas gebaut habe, arbeite ich genau so daran, alles wieder kaputt zu machen.

IHR kriegt mich nicht. Alles werde ich tun, um EUCH endlich einmal anders zu sehen, als stumm und sinnlos. Ich widme dieses Stück meinem Freund Péter, weil er der Einzigste ist, an den ich denke, wenn ich so denke.

Fuck you!

“Gewässer des Lichts” ist kein lautes Stück. (Wahrscheinlich ist es deswegen aber nicht leise.) Stücke, die nicht laut sind, machen es einem nicht leicht: Erzählen Sie doch mit Zwischentönen, mit dezenten Stimmungen und Farben. Leichter wird es vor allem nicht, wenn man es gewohnt ist, der allgemeinen Oberflächenfachsimpelei Inhalte entgegenzusetzen, die Zeitbezüge nicht verbergen, bzw. gestisch jeden Grenzbereich sich zu erschließen versuchen. Jedoch: man komponiert, was man ist.

Mit ziemlicher Sicherheit ist “Gewässer des Lichts” in seiner Atmosphäre von Johannes Bobrowskis Gedicht inspiriert. Der rätselhafte Text ist hierbei in musikalische Stimmungen aufgelöst, die Live-Singstimme hat weitestgehend instrumentale Funktion, konkretere Information kommt lediglich vom Tonband. Alles weitere mag man hören (wollen)…

Thomas Chr. Heyde

Textgrundlage

In den Gewässern des Lichts,
die Stirnen, gegeneinander,
Sommergehölz fliegt herauf
über die Hüfte dir, Blitze
schrei ich herab, ihr kommt
fernher, Blitze, Asche,
Flocken Asche
fallen von dir, dein Kleid.

An der Schulter war ich,
die Ader an deinem Hals
brach mir im Mund, du sinkst
nicht, ich halt
bei den Armen, ich heb
über die Tiefe dich, so
geh vor mir her.

Einmal: ich bring dir wieder
den Trunk, vor den Himmeln
flieg ich, einmal: ich komm
aber herab, du hörst mich
atmen, dich hören die Felder
über dem Wind, ein weißes
Licht spricht mit dir.

(Johannes Bobrowski, 1963)

bloß, wie erklär ich dir …”

Ein Geschenk für dich, “S.”. Wissend, dass die Gedanken hier (trotz des für) eins mit mir sind - sein müssen, da es ja wahrhaft sein sollte und ich - du weißt es - Privatkunst verabscheue. Scheue ich mich jetzt etwa von Idealismus zu reden ? (Das Ideal des nachdenklich sich Voranzweifelnden und die eigene Substanz sind hier und immer schließlich harte Faktoren, die auch ihre Würde haben.)

Da es wieder einmal kein Stück sein konnte was ich gerne schrieb - schon auf Grund der Thematik: im Ringen ist es vielleicht würdig für dich, “S.”; das Kämpfen macht auch einig - schafft Position.

Das Persönlichste ist nicht nur das Private. Kunst machen, also die öffentlich legitimierte Onanie des Geistes, empfinde ich schlechthin als das Intim(st)e. Alles schließt dies ein, ohne Grenze - so denn eben einigermaßen wahrhaft. Erschreckende und wunderbare Entblößung. Möglichkeit. Auch wenn ich glaube, dass so mancher, besonders in einer voyeuristisch, oberflächlich-exhibitionistischen Gesellschaft, die Grautöne, das nicht nur positiv Intime in seiner unmissverständlichen (Ent)Äußerung nicht so sehr schätzt. Herausforderung für S., für mich.

Natürlich meine ich die Hoffnung und das “für etwas sein” -”S.”.

Die Liebe redet nicht, dass lehrt beredt das plappernde Leben. Die Liebe aber singt, stöhnt, flüstert, schreit. Und auch das innerliche Ringen, der Kampf, das Intime, das “für” kennt diese Attribute. Wird “man”, wird “S.” es hören ?

“also, dann still und vielleicht…”

[Anm.: die in Anführungszeichen stehenden Textpassagen, beziehen sich auf den der Komposition zugrunde liegenden Text von Jürgen Becker.]

Thomas Chr. Heyde

Fernen thematisiert Räumlichkeit. Ferne ist Entfernung, sind große, kleine, enge und weite akustische Räume, in denen sich die Klänge - Transportmittel der Innenräume - ausbreiten, begegnen oder in natürlich nicht erlebbaren Räumen gegenüberstehen. Ferne ist aber auch Annäherung an Fremdes und Begegnung im Fremden und Fremdsein.

Dem nahezu ständig präsenten Klang der räumlich eher fixierten drei Originalinstrumente, die in ihrem Klangbild nur minimale elektronische Veränderungen erfahren, steht das (im Original 8-kanalige) Tonband gegenüber, dessen vollständig aus einer Baßblockflöte generierten Klänge ein sich ständig wiederholendes Klanggewebe bilden , das sich mal dem Originalklang annähert oder sich von ihm entfernt.

Thomas Chr. Heyde

Die Positionierung sei vorweggenommen: Ensemble für präpariertes Klavier ist ein Stück mit technomorphen Intentionen; ein Stück also ohne willentlich hinzugefügte, (gesellschafts-, sozial-) kritische Implikationen. Technomorph auch im Sinne eines mechanisch-technisches Lustprinzips, welches natürlich - sozusagen in innere Bewegung geraten - weit über die reine Technokratie hinausgeht. Extremfall - auch pianistisch.

Beeinflusst und beeindruckt von wissenschaftlichen Phänomenen, lebt das Stück, bei klarem formalem Aufbau, sehr von seinem rhythmisch-klanglichen Innenleben und von seinem ausgewählten Tonmaterial, welches den einzelnen Abschnitten entsprechend zugeordnet ist. Der intendierte und natürlich virtuelle Ensemblegedanke wird in diesem rastlosen Solistenstück gestützt und hervorgebracht durch die Präparation bestimmter, relativ weit auseinander liegender Töne (insgesamt 16 Töne: 2-5-3-2-4). Sie sollen durch die Permanenz ihres Auftretens und in Folge ihrer hervortretenden Klangfarbe den Eindruck von Einzelinstrumenten erwecken.

Thomas Chr. Heyde

Um nahe liegenden symbolistischen Deutungen vorzubeugen, sei vorangestellt, dass die Komposition Umgang-Aufstieg-Abgang ihren Titel dem rein praktischen, zum Zeitpunkt aber leider noch nicht praktikablen Umstand verdankt, dass zwei der mitwirkenden Musiker in den Himmel fliegen sollten. Dies nicht im tieferen Sinne des Wortes, sondern (nur) durch Aufstieg in einem Heißluftballon. Auch wenn sich dieses Vorhaben schon vor Niederschrift der ersten Note als so kurzfristig nicht realisierbar erwies, blieb der Komposition dennoch der Titel erhalten - gleichsam als Erinnerung an »hochfliegende« Pläne …

Die Arbeit an Umgang-Aufstieg-Abgang begann als Lauschender. Nach Stücken mit aufwendiger Elektronik, deren Realistionsprozesse meist kaum weniger als ein dreiviertel Jahr dauerten, erschien es nötig, die Klänge neu zu begreifen: weniger Material, mehr Wesen. Ohne dass Pläne die Form vorbestimmt hätten, war es immer und immer wieder das Hören der aufgezeichneten Klänge (Schlagzeugklänge und Umweltgeräusche), ihre Zusammenfügung am Computer in ständig variierter Weise, sowie die jeweilige technische Manipulation, das Wege zur Form wies.

Entgegen also meiner sonstigen Vorgehensweise, hatte ich dann ein fertiges Tonband in Händen, ohne auch nur eine einzige Note der Instrumentalstimmen komponiert zu haben. Doch ebenso wie auch bei der Herstellung des Tonbandes, so lauschte ich auch hier erst wieder lange in das nun schon komplexere Klanggebilde hinein, bevor sich auch hier nach und nach die endgültige Gestalt für mich herauskristallisierte. Diese - teils kontrastierend, teilweise mit den Klängen und Geräuschen des Zuspielbandes zusammengehend und unter Umständen aber auch völlig autonom - teilt sich in zwei großformale Abschnitte (entsprechend den zwei Teilen des Tonbandes, mit einer Länge von 7 min., 14 sec. und 7 min., 07 sec.) die per analogiam wiederum in je zwei etwa gleichlange Abschnitte gegliedert sind. Der gesamtformale, pyramidenähnliche Aufbau, der sich um einen etwa einminütigen Instrumentalteil gruppiert und in seiner Anlage technische Erwägungen nahe legt, ist (jedoch) nahezu ausschließlich nach rein dramaturgisch-ästhetischen Gesichtspunkten gestaltet.

Das existentielle Moment soll nicht verschwiegen sein (gleichwohl es müßig wäre es verbalisieren zu wollen und es hier auch nicht so sehr im Vordergrund steht wie bei anderen Stücken). Doch mehr füllt die Musik ihre Zeit mit Virtuosität; ist frisch, gelegentlich unbändig, wütend und entsetzt, aber auch vollkommen gelassen und bei sich selbst, geheimnisvoll - kurzum: Lebensversuche in Musik…

Thomas Chr. Heyde

ARENA hier - an diesem Ort. ARENA in mir.

Hier wie dort ringt, tobt es. Hier wie dort gewaltige und manchmal gewalttätige Ruhe. Hier Denken und Hoffen, hier Fragen nach Gemeinschaft, Gesellschaft, nach Position - meiner Position.

ARENA - für Orchester. Dort, in der Orchesterarena tobt, ringt, denkt und hofft es. Dort findet Auseinandersetzung statt. Findet sie statt? Oder nur in diesem Stück, also nicht in der kleinen Gemeinschaft, der kleinen Gesellschaft?

In dieser ARENA, wo einer des anderen Last…

Tragen Sie/Er diese Last? Brechen Sie/Er unter ihr zusammen? Sind Sie/Er hier noch ICH?

Die Fragen nach der kleinen Gemeinschaft “Orchester” berührten unweigerlich Fragen, die die große Gesellschaft betreffen. Und vieles im Werk hinterfragt die Gemeinschaft ebenso, wie die Gesellschaft.

Pistolenschuß, Schlag, Schrei, Stille. Atmen und ersticken einer Einheit. - Meiner Einheit?

Einheit?

Abgesang! Gleichwohl aber auch Gesang…

Thomas Christoph Heyde

Die Nummer IV des Zyklus Apparitionen (Erscheinungen) erweitert den Aspekt des Solistischen, welcher alle Teile dieses Zyklus durchzieht, um ein wesentliches Element, nämlich: die Sprache.??Diese, dargestellt durch einen quasi imaginären Sprecher vom Band, findet in ihrer entpersonifizierten Verwendung ihre Entsprechung zur märchenhaften Handlung des Textes. In der Vorlage (Jurij Brezan, “Die Schwarze Mühle”, Berlin 1968) geht es um die großen Dinge des Lebens. Es geht um Sinn und Wahrheitssuche, artikuliert im Drang nach Wissen, im Widerstand, im Kampf.??Der Gefahr einer Verklausulierung durch die märchenhafte Form, begegnet Brezans Text (welcher von mir auf ein ca. zwei Seiten umfassendes “Libretto” reduziert wurde) mit einer, in fabulöser Art versteckten, tief- und hintersinnigen Direktheit und Schärfe. Die Nähe von Brezans Text zur existentiellen Basis, seine Volkstümlichkeit im besten Sinne und seine gedankliche Großzügigkeit, ließen mir für meine Interpretationen genügend Freiräume.?

Der szenische Aspekt der “Handlung” wird ausschließlich durch den Oboisten und durch die jeweilige Inszenierung in Raum, Bühne und Licht getragen, während das äußerst diffizile 4-Kanal-Zuspielband gerade die räumliche Perspektive erweitert. Die auf dem Tonband verwendeten Klänge sind teils konkreter (Sprache, Oboen- und Umweltklänge) und teils synthetischer Herkunft. Mit der Bezeichnung “Hörbilder” soll die Gattung nicht festgelegt werden, sondern lediglich grob umrissen sein; es sei aber darauf hingewiesen, daß das Stück Züge eines Hörspiels ebenso in sich trägt wie Aspekte einer theatralischen Konzertmusik.??

Kurze Inhaltsangabe, bzw. ein persönlicher Interpretationsansatz:?Einer namens Krabat (den - vielleicht aber auch das - man eben so nennt, und der von irgendwo kommt und irgendwohin geht, und der auch nicht mehr glaubt, daß “[der Himmel] ein riesiges schwarzes Loch [ist], darin die Sterne schwimmen”), dieser Krabat also ist auf der Suche nach den sieben Büchern des Wissens, welche, vom schwarzen Müller bewacht, er öffnen will. “Es ist nicht die Sonne, die ihn (Krabat) blendet. Es sind die Geheimnisse, die Rätsel, die Fragen.”??Krabat verdingt sich beim Müller (den - vielleicht aber auch das - man eben so nennt) wofür einer der zwölf Müllerburschen sterben muß, da der Müller - unumstößlich in seinen Grundsätzen: “Zwölf ist mein Prinzip”- nicht mehr als zwölf Burschen in seiner Mühle duldet.

Des sterbenden Müllerburschen Haß und Hoffnung wird durch Anna Achmatowas Gedicht Kreuzigung (Anna Achmatowa, “Im Spiegelland”, München 1982; Übers. L. Müller) auf einen anderen Aspekt des Schmerzes gelenkt.??“Des (grausamen) Müllers Macht ist größer denn je.”?“Der Müller sagt: Wer weiß, der kann.”?“Krabat sagt: Wer weiß, der kann.”?“Krabat denkt: Wer weiß, der kann auch den Müller überwinden”.

Apparitionen I ist das erste Stück eines Zyklus, in dem immer ein Soloinstrument im Vordergrund steht und zwar zumeist in Kombination mit anderen Medien wie Video, Licht, Elektronik. Das erste Stück dieser Reihe, für Trompete solo, hat eine formale Besonderheit: Im ersten Satz sind bereits alle weiteren Folgenden enthalten, jedoch so kombiniert, dass sowohl der erste Satz als auch die drei weiteren als in sich geschlossene Einheit wirken.

Das Stück entstand 1995 während meines Studiums in Leipzig.